Während der Ausgrabungen im Stiftsbezirk St. Gallen wurden an der Westseite des Gallusplatzes in ca. 1.8 m Tiefe im feuchten Untergrund mittelalterliche Holzabfälle, ein Holzkamm und Reste von Lederschuhen gefunden, welche nun untersucht und zum Teil auch rekonstruiert wurden. Der eine Schuh besteht aus fast vollständig erhaltenem, ca. 1.2 mm dickem, pflanzlich gegerbtem Ziegenleder. Es ist ein linker Schuh, der der heutigen Schuhgrösse 35 entspricht. Das Oberleder ist narbenseitig abgewetzt, der Oberbau besteht aus einem ungefütterten Hauptstück, welches den ganzen Fuss einfasst und innenseitig Kante an Kante zusammengefügt ist. Ein kleines Stück Leder wurde an der Innenseite der Schaftpartie angesetzt und bildet oberhalb der Fussbeuge eine Art Kragen. Die Schliessnaht liegt dort über der Mitte des Schienbeins und ist mit einem T-förmigen Lederstreifen verstärkt. Die Sohle fehlt, kann aber durch Nahtspuren nachgewiesen werden. Bemerkenswert ist die Verzierung auf der Aussenseite: linear zur Mittelachse sind kleine blumenförmige Stempelabdrücke angebracht, die mit Blattsilber geprägt wurden. Der spitz zulaufende Schlupfschuh hat weder Verschluss noch Verschnürung, zeigt vorne eine zugenähten Schaft und ist wendegenäht. S. und M. Volken von Gentle Craft, Lausanne haben eine Nachbildung geschaffen, welche bald im historischen Museum St. Gallen zu bewundern sein wird. Datiert wird das Prunkstück, das Vergleichsstücke in Zürich, Basel, Schweden und Norwegen ( so genannter Seasalter-Typ)hat, in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Ein zweiter Schuh, der ins Ende des 11. oder 12. Jahrhundert datiert wird und ebenfalls aus der gleichen Grabung stammt, ist höher und vorne offen, vielfach geflickt und ohne jede Verzierung. Vergleichsstücke finden sich in Basel (Peterberg) und in Trondheim/Norwegen, was den Güter- und Informationsaustausch über grosse Distanzen belegt.