Shot at Dawn Memorial - erschossen im Morgengrauen

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Shot at Dawn Memorial - erschossen im Morgengrauen

Beitragvon troupier suisse am Sa 26 Jun, 2010 21:15

Shot at Dawn Memorial - erschossen im Morgengrauen

Im National Memorial Arboretum, einem Denkmalpark in der Grafschaft Staffordshire, steht eines der bewegendsten Monumente das ich kenne. Es ist noch nicht sehr alt und wurde erst 2001 enthüllt. Fast 90 Jahre dauerte es, bis die Zeit reif war damit die Nachwelt der Thematik objektiv begegnen konnte. Die Rede ist vom Shot at Dawn Memorial, welches den 306 Soldaten des Commonwealth und der britischen Armee gewidmet ist, die im ersten Weltkrieg vor einem Erschiessungskommando ihr Leben lassen mussten.

Ihr Vergehen wurde damals als "Feigheit" und "Fahnenflucht" gebrandmarkt. Der erste dieser Unglücklichen war Thomas James Highgate von den 1st Royal West Kents. Angeklagt wurde er der Fahnenflucht. Er berief sich darauf in der Schlacht von Mons von seiner Truppe getrennt worden zu sein und habe vergeblich versucht sich zu ihr durchzuschlagen. Highgate blieb vor Kriegsgericht ohne Verteidigung und konnte keine Zeugen benennen, da seine Kameraden gefallen waren. Am 6. September 1914 wurde er zum Tod durch Erschiessen verurteilt. Am 8. September starb durch die Schüsse eines Exekutionskommandos aus Soldaten der 1st Dorset und der 1st Cheshire. Er wurde 19 Jahre alt.

Bei vielen Fällen drängt sich der Verdacht auf, dass nicht das Verhalten der Hingerichteten Grund ihres tragischen Schicksals war. Manche von ihnen waren durch die Erlebnisse an der Front psychisch schwer zerrüttet. Einige verloren auf dem Schlachtfeld die Kontrolle über sich selbst, folgten Ihrem Instinkt und flohen vor dem Stahlhagel um ihr nacktes Leben zu retten. Bei anderen war die Beweislage zweifelhaft, (es genügte im Falle eines Sergeanten, ohne sein defektes Gewehr aus dem Kampf zurückzukehren) was sie nicht vor dem Tod im Morgengrauen bewahrte. Die militärische Amtssprache umschrieb die befohlenen Tötungen mit "Shot at Dawn". Konkret ging es vielfach darum, ein Exempel zu statuieren. Die Soldaten sollten vorgeführt bekommen, dass sie in der Maschinerie des Todes allen widrigen Umständen zum Trotz zu funktionieren hatten.

Der Verurteilte wurde oft dazu ermuntert, sich in der Nacht vor der Exekution zu betrinken. Manchmal gab ihm ein Arzt auch eine Morphiumtablette, womit er den Tod willenlos und abwesend erlitt. Dies erleichterte dem Erschiessungskommando von je 6 Mann den Vorgang. Je ein Gewehr war mit einer Platzpatrone geladen, damit niemand wusste ob er zu den Todesschützen gehörte. Dies war aber unsinnig, denn man spürte am Rückstoss ob man einen scharfen Schuss oder nur eine blinde Landung verschossen hatte. Das Ritual mit der blinden Patrone blieb reine Kosmetik. Ein Sanitätsoffizier platzierte ein weisses Stück Stoff oder Papier über dem Herzen des Verurteilten als Zielhilfe. War der Verurteilte nach der Salve nicht tot, gab der kommandierende Offizier einen Schuss aus dem Revolver in seinen Kopf ab, den Coup de grâce.

Es gab Hinrichtungen wo die Erschiessungskommandos aus Kameraden der Verurteilten bestand, und die Todeskandidaten sich am Pfahl stehend von den Schützen verabschiedeten. Ein neues Jahrtausend musste ins Land gehen, bis diesen Männern vergeben wurde. Im August 2006 rehabilitierte die britische Regierung alle Hingerichteten. Die fünf Neuseeländer unter ihnen wurden vom neuseeländischen Parlament bereits im Jahr 2000 von ihrer Schuld freigesprochen. Die kanadische Regierung sprach 2001 ihr Bedauern über die Erschiessung der 23 kanadischen Soldaten aus. Das australische Korps hatte 129 Mann zum Tode verurteilt, von denen aber kein einziger die Vollstreckung seiner Urteils erleiden musste. Das australische Militärgesetz verbot die Todesstrafe in solchen Fällen.

Das im Juni 2001 enthüllte Denkmal für die Opfer der Kriegsgerichte wurde von Andy De Comyn aus Birmingham gestaltet. Gleich einem antiken Theater sind 306 Holzpfähle gestaffelt im Halbkreis aufgestellt. Pfähle wie jene an die man die Verurteilten gebunden hatte um sie zu erschiessen. Sie sollen an die Sitzplätze eines griechischen Theaters erinnern und ein Symbol für Tragödie sein. An den Pfählen nennt in weisser Schrift auf schwarzen Plaketten Rang, Name, Einheit, Todestag und Alter jedes Erschossenen. Im Zentrum des Halbkreises steht die weisse Statue eines jungen Mannes. Er trägt Uniform. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt und seine Augen verbunden. Er erwartet die tödliche Salve des Erschiessungskommandos. Sein Mund lässt Anspannung erahnen, man meint seine unsicheren Knie zittern zu sehen.

Die Statue ist Herbert Burden nachempfunden, dem Sohn eines Gärtners aus Lewisham. Er hatte sich freiwillig bei den 1st Northumberland Fusliers gemeldet und dazu sein wahres Alter höher angegeben. Als er während der Kämpfe um Ypern im Sommer 1915 für 48 Stunden sein Regiment verliess, brachte ihn dies vor Kriegsgericht. Er gab an einen Freund von den nahen Royal West Kents besucht zu haben, da er vernommen habe dass dessen Bruder gefallen sei. Das Kriegsgericht liess diese Erklärung nicht gelten. Herberts Einheit hatte kurz vor dessen Verschwinden den Befehl zu einem Fronteinsatz erhalten. Er war 15 oder 16 als er sich bei der Armee einschrieb. In der Schlacht am Bellwarde Ridge musste er viele Kameraden sterben sehen. Am 21. Juli 1915 wurde Private Herbert Burden im Alter von 17 Jahren erschossen.

Die Skulptur ist kindlicher gestaltet als Herbert Burden in Wahrheit aussah. Er hatte ein markanteres Kinn und ein länglicheres Gesicht. Doch die künstlerische Freiheit ist dem Thema durchaus angemessen, denn sie gibt der lange verpönten "Feigheit vor dem Feind" das Antlitz den wehrlosen und verletzlichen Menschen vor dem unmittelbar bevorstehenden Tod.

Bilder des Monuments: http://www.flickr.com/photos/topcat_angel/3427335872/
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Re: Shot at Dawn Memorial - erschossen im Morgengrauen

Beitragvon gijoe am So 27 Jun, 2010 05:23

Gnadenlose Exempel sind in der Geschichte viele vorgekommen. Kurzfristig geht es auch auf aber längerfristig kann man die Soldaten so nicht motivieren. Der 1st Weltkrieg war ein Gemetzel der Extreme, man bekämpfte sich in tristen Kraterlandschaften und hockte monatelang in nassen Gräben. Die Disziplin war knallhart und oft hatten die Soldaten mehr Angst vor ihren Offizieren als vom Feind. Aber irgenwann stumpft der Mensch so ab das alle Massnahmen nichts mehr nützen. Es wird gerne verschwiegen das 1917 ein grosser Teil der französischen Armee meuterte und auch die anderen Beteiligten Kriegsmüde waren. Ohne die frischen Amerikaner wären die Offensiven von 1918 nicht möglich gewesen.
Die gewaltige Zahl der Soldaten die mit psychischen Schäden aus dem Krieg kamen bleibt unbekannt und vermutlich wollte auch keiner mehr einen neuen Krieg
Zu beginn des WWII zogen die Soldaten nicht mehr mit Hurra aufs Schlachtfeld und wären 1940 die deutschen Erfolge im Westen ausgeblieben wäre der Krieg wohl schnell wieder zu Ende gewesen.
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Re: Shot at Dawn Memorial - erschossen im Morgengrauen

Beitragvon troupier suisse am So 27 Jun, 2010 06:07

Nach einer Reihe von blutigen Offensiven streikten französische Einheiten regelrecht. Sie weigerten sich anzugreifen sondern verteidigten nur noch ihre Stellungen. Die Hinrichtungswelle in der französischen Armee 1917 thematisierte Stanley Kubrick in seinem Frühwerk "Paths to Glory" mit Kirk Douglas.

Ich muss mich übrigens noch bezüglich der Australier korrigieren. Das Militärgesetz von 1902 kannte wohl die Todesstrafe für Meuterei, Fahnenflucht und anderem. Aber zur Vollstreckung musste jedes Urteil vom australischen Generalgouverneur bestätigt werden, und dies geschah aus Prinzip nicht. Australien hat keine seiner Soldaten den britischen Direktiven folgend erschossen.
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