Berner Richtstätte "untenaus" freigelegt

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Berner Richtstätte "untenaus" freigelegt

Beitragvon cantarella am Fr 07 Aug, 2009 08:13

Was für eine tolle Entdeckung für mich Interessierte an Morbidem.
Medienmitteilung des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern vom 6. August 2009


Sockel des Galgens und Skelette entdeckt

Auf dem Areal Schönberg Ost in Bern hat der Archäologische Dienst des Kantons Bern eine Hinrichtungsstätte der mittelalterlichen und frühzeitlichen Stadt Bern freigelegt und untersucht. Dabei kamen der Galgensockel sowie menschliche Überreste zum Vorschein.

Auf dem Areal Schönberg Ost in Bern soll in den kommenden Jahren ein Wohnquartier entstehen. Dabei wird tief in den Untergrund eingegriffen und alle archäologische Substanz wird zerstört. Um diese vorher zu dokumentieren und historische Erkenntnisse daraus zu gewinnen, führt der Archäologische Dienst sogenannte Not- oder Rettungsgrabungen durch. Sie haben im Mai 2009 begonnen und werden voraussichtlich Ende August beendet sein.

Bei den Grabungen auf dem Areal Schönberg Ost stiess der Archäologische Dienst auf eine der drei mittelalterlichen Richtstätten der Stadt Bern, das sogenannte Hochgericht "untenaus". Daneben gab es auch noch das Hochgericht "obenaus" im Westen Berns, an der Gabelung der Freiburg- und der Murtenstrasse, wo sich heute die Inselkapelle erhebt, sowie ein drittes Hochgericht auf dem Schwellenmätteli an der Aare, wo Verbrennungen und Ertränkungen stattfanden. Die Hinrichtung war im Mittelalter ein öffentlicher Akt. Deswegen befanden sich die Richtstätten oft auf weithin sichtbaren Anhöhen, an denen viel begangene Landstrassen vorbeiführten. Die Gehängten liess man in der Regel hängen, bis sie in Einzelteilen herunterfielen, die Geräderten verfaulten auf den Rädern, die man auf lange Stangen aufgesteckt hatte. Die Köpfe der Enthaupteten wurden manchmal auf Pfähle genagelt und die Überreste von Gevierteilten stellte man an den Rechtsgrenzen der Stadt, den Burgerzielen zur Schau. Die damit verbundene Idee der Unehrenhaftigkeit über den Tod hinaus war Teil der Strafe und sollte jedem Vorbeigehenden auf drastische Art und Weise demonstrieren, dass in Bern Recht und Ordnung herrschten.

Der Galgen des Hochgerichts "untenaus" bestand aus einem gemauerten, im Grundriss dreieckigen Sockel. Auf den Mauerecken standen drei Steinpfeiler mit drei aufgelegten Balken. In einiger Entfernung gab es einen zweiten, im Grundriss rechteckigen Mauersockel, den "Rabenstein", dessen Plateau mit einer Steintreppe erreicht wurde. Dort wurden Enthauptungen vorgenommen. Vom Galgen fanden sich Spuren, die einen gemauerten Sockel von rund 6 x 6 Metern in Form eines gleichseitigen Dreiecks mit gekappten Spitzen rekonstruieren lassen. Offenbar hat man den Galgen 1817 auf Abbruch verkauft. Der Käufer hat fast jeden Stein weggeführt, nicht ohne vorher sorgfältig den Mörtel abzuklopfen, wie die herumliegenden Mörtelreste beweisen. Der "Rabenstein" lag im Bereich des heutigen Bitziusschulhauses und ist beim Bau des Gebäudes verschwunden.

Unter und neben dem Galgen fand der Archäologische Dienst verschiedene Gruben mit menschlichen Überresten. Einerseits sind es einzelne Skelette von Gehängten, junge Männer, die mit gefesselten Händen achtlos in ihre Grabgruben geworfen wurden, der eine auf dem Rücken, ein anderer auf dem Bauch. Sie liegen nicht, wie es sich für christliche Bestattungen gehört, "geostet", also mit dem Kopf im Westen und Blick nach Osten, sondern - möglicherweise absichtlich - umgekehrt. Daneben sind Grabgruben nachgewiesen, in denen mehrere Tote lagen. Man hat sie dicht nebeneinander, in Bauch-, Rücken- oder Seitenlage in die Grube gepfercht. Auch unter ihnen finden sich junge, noch nicht erwachsene Menschen. Ein bisher einmaliger Befund stellt eine grosse Knochengrube dar, die die Gebeine von schätzungsweise 20 Menschen enthält. In der untersten Schicht liegen (mit Ausnahme der Schädel) mehr oder weniger vollständige Skelette, die noch im Verband sind. Später wurde die Grube mit vielen losen Knochen bis oben aufgefüllt.

Bild
Ein Plan des Gebietes Holligen/Inselareal um 1620. Deutlich ist auf der Zeichnung der Galgen des Hochgerichtes "obenaus" mit seinen drei Steinpfeilern zu erkennen (Kreis). Genau so muss der Galgen auf dem Schönberg ausgesehen haben
(Staatsarchiv des Kantons Bern)

Quelle: be.ch
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Beitragvon Timotheus am Fr 07 Aug, 2009 09:46

Sehr interessant - in der "Tat"!

Interesse an Morbidem... 8-[ muss man Angst vor Dir haben? Seit ich "Seven" gesehen habe, frage ich mich immer wo die netten Leute von nebenan wohnen, bei deren Wohnungseinrichtung Überraschungen zu erwarten sind...:smt002

P.S.: In Lenzburg hat man im letzten Jahr mitten in einem Wohnviertel auch etwas ähnliches entdeckt, ich suche nochmal ob ich noch etwas zu dem Thema finde.
Zuletzt geändert von Timotheus am Fr 07 Aug, 2009 09:49, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Desmond am Fr 07 Aug, 2009 09:47

Timotheus hat geschrieben:Interesse an Morbidem... 8-[ muss man Angst vor Dir haben?

Es geht... ich lebe ja auch noch.
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Beitragvon cantarella am Fr 07 Aug, 2009 09:59

Timotheus hat geschrieben:Interesse an Morbidem... 8-[ muss man Angst vor Dir haben?


Nönö, durchaus nicht. Hab halt ein allgemeines Interesse an Friedhöfen (auch der schönen Grabsteine wegen), an Gerichtsmedizin und eben am Scharfrichterwesen.
Aber böse bin ich deswegen noch lange nicht. *lach*

P.S.: Seven ist ein genialer Film. :-)
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Beitragvon Hagelhans am Fr 07 Aug, 2009 13:01

Interesannt sind die vollständig erhaltenen skelete der Gehängten. Obwohl nicht ordentlich Beerdigt war es wohl doch eine art Gnadenerweis dass man sie nicht bis zur Verwesung und somit zum zerfallen in Einzelteile am Galgen hängen liess.
Oder brauchte man möglicherweise Platz für eine weitere Hinrichtung?
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Beitragvon cantarella am Fr 07 Aug, 2009 13:10

Hagelhans hat geschrieben:Oder brauchte man möglicherweise Platz für eine weitere Hinrichtung?

Das wohl nicht, Bern verfügte über drei Richtstätten, da sollte man meinen, dass genug Platz da war.
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Beitragvon Hagelhans am Fr 07 Aug, 2009 17:13

Weiss man ob es irgend welche Gründe gab ob man hier oder dort enthauptet wurde?
In Zürich gab es auch zwei Richtplätze. Dort war es aber so, dass es auch zwei Gerichtsbarkeiten gab. Stadt und Fraumünsterabtei.
Mir scheint, dass Bern einfach an jeder wichtigen Einfahrtsstrasse einen galgen postierte. Oder gab es eben doch Gründe in welche Himmelsrichtung man sein Leben aushaucht?
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Beitragvon Voltigeur am Fr 07 Aug, 2009 20:22

Was mich überrascht ist, das man unter der Richtstätte
Skelette und Knochen fand.
Das würde ja bedeuten das man unter das Mauerwerk gegraben hätte um die Leichen zu verscharren.
Das bedeutet aber zu riskieren das der Galgen zusammen bricht ?

Grüsse vom Voltigeur
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Beitragvon Hagelhans am Fr 07 Aug, 2009 20:38

Voltigeur hat geschrieben:Was mich überrascht ist, das man unter der Richtstätte
Skelette und Knochen fand.
Das würde ja bedeuten das man unter das Mauerwerk gegraben hätte um die Leichen zu verscharren.
Das bedeutet aber zu riskieren das der Galgen zusammen bricht ?

Grüsse vom Voltigeur


Ich nehme mal an, dass mit "unter dem Galgen" im ummauerten Dreieck gemeint ist und nicht direkt unter den Mauern.
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Beitragvon Voltigeur am Fr 07 Aug, 2009 21:07

Ist mir jetzt nicht ganz klar, ich verstehe was Du mir sagen willst, aber das würde ja heissen das es nicht eine art Sockel war, sondern nur Mauern in den man im inneren graben konnte, ähnlich wie in einem Keller.
Ich dachte das, dass ganze eine solide Konstruktion aus einem Mauerblock war und eine gemauerte Basis im inneren hatte.

Würde mich schon mal interessieren wenn es da genauere Zeichnungen gäbe.

Grüsse vom Voltigeur
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