Vor 70 Jahren versuchte Maurice Bavaud, Hitler zu töten. Er endete auf dem Schafott, ohne dass ihm die Schweiz geholfen hätte. Nun hat ihn Pascal Couchepin in einer Erklärung gewürdigt.
Aus heutiger Sicht hätten sich die Schweizer Behörden vor 70 Jahren zu wenig für Bavaud eingesetzt, heisst es in einer Mitteilung aus dem Bundeshaus. So hatte es das Militärdepartement damals abgelehnt, den Schweizer gegen einen deutschen Saboteur auszutauschen. Der «Tages-Anzeiger» hatte darüber bereits gestern berichtet.
Motion von Paul Rechsteiner
Der St. Galler SP-Nationalrat Paul Rechsteiner hatte den Bundesrat mit einer Motion zu dieser Erklärung aufgefordert - aus Anlass des 70. Jahrestags des Attentatsversuchs. Eine solche Erklärung des Bundespräsidenten sei etwas Aussergewöhnliches, sagt Rechsteiner. Und sie sei geeignet, um adäquat auf den Akt von welthistorischer Bedeutung zu reagieren. Denn ein Urteil könne man in der Schweiz nicht revidieren, um Bavaud zu rehabilitieren. Deutschland hat das Todesurteil 1956 aufgehoben.
Vor zehn Jahren rügte der Bundesrat in seiner Antwort auf eine einfache Anfrage Rechsteiners vor allem die Versäumnisse der Schweizer Gesandtschaft in Berlin. Der Gesandte Hans Frölicher hatte das geplante Attentat auf Hitler als «verabscheuungswürdige Tat» bezeichnet und sich geweigert, sich für Bavaud einzusetzen.
Niklaus Meienbergs Einsatz
In den späten 70er-Jahren lancierten dann Rolf Hochhuth und Niklaus Meienberg mit ihren Büchern «Tell 38» und «Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat» die Diskussion über Bavaud. Sie sahen in ihm einen scharfsichtigen und zurechnungsfähigen Einzeltäter. Demgegenüber hat der frühere Zürcher Direktor des ETH-Archivs für Zeitgesichte, Klaus Urner, Bavaud pathologisiert und ihn als Opfer einer Hörigkeitsbeziehung dargestellt.
Urners Darstellung von Bavaud als pathologischer Figur wird von berufener Seite widersprochen. Der Moraltheologe Stephan Pfürtner etwa, der selber wegen Widerstands gegen das NS-Regime des Hochverrats angeklagt war, kann nicht verstehen, warum sich Urner vor allem auf die Behördenakten und Urteilsschriften des Volksgerichts stützt und den authentischen Quellen von Bavaud misstraut. Für Pfürtner ist Einzelkämpfer Bavaud eine «Symbolgestalt helvetischer Freiheitsgeschichte».
Die Tat
9. November 1938, nur wenige Stunden vor der Reichspogromnacht: Auf der Ehrentribüne bei der Feldherrenhalle in München wartet Theologiestudent Maurice Bavaud in der ersten Reihe auf den Gedenkmarsch der Nazi-Führungscrew. In seiner Tasche hat er eine Pistole. Doch der vorbeimarschierende Hitler ist zu weit weg für seine kleine Waffe. Und die zum Hitler-Gruss hochgestreckten Arme versperren ihm die Sicht. Die Pistole bleibt in der Tasche. In den Tagen danach bleibt der 22-jährige Neuenburger dem Führer auf den Fersen und versucht, ins «Braune Haus» in München einzudringen. Nach gescheiterter Mission wird Bavaud im Zug nach Paris festgenommen.
In der Hauptverhandlung vor dem Volksgerichtshof in Berlin sagt Bavaud aus, er habe Hitler als Gefahr für die Christenheit, für die Menschheit und für die Unabhängigkeit der Schweiz erkannt. Gefährdet sieht der Katholik vor allem auch die römische Kirche. Wegen seiner Attentatsversuche verurteilt ihn das Volksgericht zum Tode. Am 9. Mai 1941 wird er nach 30 Monaten in Einzelhaft aufs Schafott geführt.
Nur ein Strohmann?
Nach der Hauptverhandlung hielt die Nazijustiz Bavaud für einen Einzeltäter. In späteren Verhören gab dann Bavaud - teils unter Folter - seinen Freund Marcel Gerbohay als Auftraggeber seiner Tat an. Gerbohay war Bavauds Studienkollege im Seminar Saint Ilan in der Bretagne, wo sich die beiden zu Missionaren ausbilden liessen. War also Bavaud nur ein Strohmann des Fantasten Gerbohay, der sich als Neffe des letzten Zaren ausgab und Hitler beseitigt sehen wollte, weil er nichts für die Restitution des Zarentums tat? Gerbohay wurde 1942 von der deutschen Polizei in der Bretagne verhaftet und später hingerichtet.