1242 - Die Schlacht am Peipus-See - Legende oder Wahrheit?

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1242 - Die Schlacht am Peipus-See - Legende oder Wahrheit?

Beitragvon Hoover am Sa 04 Aug, 2007 12:26

Weil es ja bei Quiz angesprochen wurde habe ich mich kurz in den PC gesetzt und eine Beschreibung der Schlacht erstellt. In der Folge wil ich die Frage mit Euch diskutieren, ob und wieviel Wahrheit an dieser Schlacht ist. Vorher hat mich das Thema interessiert, jetzt bin ich schlicht begeistert! \:D/

Die Schlacht am Peipus-See – Legende und Wirklichkeit

Die Geschichte vom Peipus-See kennt sicher jeder, nicht zuletzt vom beeindruckenden russischen Heldenepos „Alexander Newski“ von 1938. Aber lässt sich diese Legende überhaupt überprüfen?

Schauen wir uns mal die Ausgangslage an (natürlich etwas verkürzt):
Der in Europa alles Leben bestimmende Klerus sah den russischen orthodoxen Katholizismus als ketzerischen Irrglauben, als Sektentum ab. Die ersten Angehörigen der westlichen Welt, die Dänen unter Waldemar dem Großen, begannen ab 1191 ihre Vorstöße ins Baltikum, ihre weitentwickelte Schiffahrt dazu nutzend. Sie gründeten die Feste Tallinn und begannen damit, die örtliche Bevölkerung zum wahren Glauben zu bekehren...und natürlich das Land zu verwerten.

Die russische Seite ihrerseits war ebenfalls interessiert an einem Ostseezugang und wollte das weitere Vordringen der Dänen verhindern. Der dänische Bischof Albert von Bornhöved befahl daher im Jahre 1219, die Holzfestung in Tallinn (nun Reval genannt) durch eine Steinburg zu ersetzen. Die dänsichen Eroberungen erweckten leichten Neid bei den deutschen („teutonischen“) Kirchenhäuptern. Aber die zerstrittenen deutschen Fürsten konnten sich anfänglich nicht dazu aufraffen, das Land im Osten zu erobern. Anfänglich waren daher nur die Schertbrüder, ein Ableger des Deutschen Ordens, im Baltikum zugegen. Die dänischen Bemühungen, das Baltikum zu beherrschen, sahen denn auch diese wenigen deutschen Kolonisten mit Argwohn gegenüber. So kam es des Öfteren auch zu Kämpfen zwischen dänischen und deutschen Kräften, wobei sich diese am Anfang noch als kleine Scharmützel zeigten. Die Russen verstärkten ihre Truppen im Land (Wojwodina) Nowgorod, woran das Baltikum angrenzte.


Schon bald zeigten sich die deutschen Schwertbrüder als absolut straff organisierte und schlagkräfte, krichliche Kampfgruppe, die das deutsche Siedlungs- und Einflussgebiet bis zum Peipussee ausdehnte. Wichtige, umkämpfte Orte waren dabei Pskov, Narwa und Tartu (welches nach der Einnahme zur Ordensstadt Dorpat wurde). Um auch andere Fürsten zum Krieg im Baltikum zu bewegen wurde der Kampf gegen die Russen zum Kreuzzug ausgerufen (1227). Nun war es für viele Adlige und Abenteurer eine Ehrenfrage, als „Livlandfahrer“ für ihren christlichen Glauben in den Krieg zu ziehen. In einer dieser Livlandschlachten wurde Tartu belagert, schließlich gestürmt und die russische Besatzung bis auf einen einzigen Mann abgeschlachtet. Dieser letzte Mann sollte die Nachricht des Falls von Tartu bei den Russen bekannt machen. 1226 erklärte sich der Großmeister des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, bereit, den Schwerpunkt des Kampfes des Deutschen Ordens vom Heiligen Land und Ungarn hin zum Baltikum zu verlegen.

Die wichtigste Stadt der Russen zu dieser Zeit war Nowgorod, wo Prinz Yaroslav Wsewolodiwitsch seinerseits den Krieg gegen die Eindringlinge als heiligen Krieg ausrief, mit dem später so oft wiederholten Zusatz, dass es um „Mutter Russland“ gehe.

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Alle Karten aus Osprey-Campaign 46 "Lake Peipus 1242"
In dem sehr guten Heft wird nur die Schlacht beschrieben, wie sie in den Geschichtsbüchern steht, darauf wird in dem Heft extra hingewiesen!


So viel zur politischen Lage damals. Kommen wir jetzt zur Beschreibung der Legende um die Schlacht am Peipus-See und später dann zu einer kritischen Betrachtung derselben.

Die Kreuzfahrer Armee 1242, die später am Peipus-See kämpfte stand unter der Führung von Bischof Hermann von Buxhöved, Abt zu Bremen , Neffe von Erzbischof Hartwig von Hamburg und Bremen und damit auch Befehlshaber der Schwertbrüder und des Deutschen Ordens. Zum Zeitpunkt der Schlacht war der dänische Regent König Waldemar von Dänemark bereits von den deutschen kirchlichen Oberen zurückgedrängt und hatte keinerlei große Mitspracherecht mehr, er konnte nur das dänische Kriegerkontigent unter deutscher Führung abstellen. Hermann starb übrigens 1248. Militärischer Führer der Kreuzfahrer war Andreas von Felben, Landmeister des Deutschen Ordens in Riga.
Das russische Heer wurde vom damals unbekannten Alexander Newski (geboren ca. 1220) befehligt, erst später wurde er „Großprinz von Russland“. Er war vorher nur bekannt, weil er Verträge mit den Mongolen aushandelte, die Russland vor weiteren Mongoleneinfällen schützte. Heute ist es fast unmöglich, die zahlreichen Heldensagen von wirklichen Geschehnissen zu trennen.

Betrachten wir mal die beiden Armeen, wie sie sich laut Sage gegenübergestanden haben sollen.
Die Kreuzfahrerarmee bestand aus drei Teilen: Lokale Miliz (300 Ritter und Sergeanten sowie 1000 unausgebildeten Hilfssoldaten), das dänische Kontigent (200 Ritter und Sergeanten plus etwa 300 Hilfssoldaten) und das deutsche Kontigent aus Schwertbrüder und Deutschorden mit den „Livlandfahrern“, die sich für gewöhnlich dem Deutschen Orden unterstellten. Diese hatten eine Stärke von etwa 300 Rittern und Sergeanten und etwa 1000 Soldaten. Das ergäbe eine Streitmacht von 800 Rittern und Sergeanten sowie etwa 5000 Soldaten. Sergeanten in diesem Zusammenhang sind gutausgebildete und erprobte „Berufssoldaten“, von denen viele nach der Schlacht zu Rittern geschlagen wurden.
Von der russischen Armee ist nur bekannt, dass sie etwa 6-7.000 Mann stark gewesen soll und etwa 200 berittene mongolische Bogenschützen und ungefähr 1000 Adlige umfasst haben soll.


Die Schlacht selber war eher ein Zufallsprodukt der Pläner beider Seiten. Alexander Newski marschierte von Nowgrorod über Pskov und teilte seine Streimacht in zwei etwa gleichstarke Teile, von denen eine zur Stadt Mooste zog, der andere gen Norden nach Mehikoorma, beides Stützpunkte der Kreuzfahrer. Bei Mooste trafen sich am 05.04.1242 Teile der beiden Heere, und es gelang den Kreuzfahrern, die führende russische Truppe am Fluss Lutsu in einen Hinterhalt zu locken und den russischen Fürsten Domash Twerdislawitsch zu töten. Der Teil, der Mooste erobern sollte wich daraufhin auch auf Mehikoorma aus, um den Peipus-See an einer Furtstelle zu überqueren. Bischof Hermann sandte daraufhin den Rest der Kreuzfahrerarmee auf Mehikoorma aus, um beiden russischen Teilen den Rückweg vor der Furt abzuschneiden. Die Furt war nur etwa 60cm tief, und der Peipus-See am südlichen ende war nicht viel tifer, zudem war die Oberfläche tief gefroren (angeblich war es Minus 10 Grad kalt in diesen Tagen, mit einer Eisdicke von 20 bis 50 cm).

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Alexander Newski gelang es, noch vor den Kreuzfahrern die Furt zu überqueren, und Hermann befahl den Truppen, über den gefrorenen See hinweg die Verfolgung aufzunehmen. Newski aber bemerkte dieses und machte mit seiner gesamten Truppe kehrt. Beide Armeen standen sich jetzt dirket gegenüber, Newski am Ufer und die Kreuzfahrer auf dem Eis.

Die teutonischen Ritter (Schwertbrüder und Deutschorden mit den Livlandfahrern) bildeten das Zentrum, die dänischen Truppen die linke Flanke und die rechte Flanke bildeten die Livländischen Kräfte. Als Reserve dahinter standen estnische Kräfte. Den deutschen Angriff beantworteten russische Bogenschützen, die das dänische Kontigent schwer trafen. Zu gleicher Zeit gelang es den teutonischen Reitern, tief in die russischen Linien einzudringen. Während also in der Mitte die deutschen Ritter siegten wurden die Dänen von mongolisch-türkischen Bogenschützen zerschlagen. Nachdem die Dänen sich zurückzogen flohen auch die estnischen Hilfstruppen zurück über das Eis. Als Ergibnis waren die vorher siegreichen deutschen Truppen ihrerseits plötzlich umzingelt. Dies war die Situation, als die teutonischen Ritter ihre Schlachtlinien eng zusammenschlossen, um sich in guter Ordnung zurückzuziehen, als der Sage nach das Eis brach und ein großer Teil der Kreuzfahrer im See unterging. In der Folge flohen die diversen Teile des Kreuzfahrerheeres gen Westen und konnten erst 7 Kilometer weiter wieder geordnet werden. Die russischen Truppen haben die Verfolgung nicht weitergeführt.

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Russische Berichten zufolge sollen 400 deutsche Ritter und Soldaten getötet worden sein, 50 Adlige hatte man gefangen. Einer livländischen Chronik zufolge (der „Livländischen Reimchronik“) sollen 20 deutsche Ritter umgekommen sein. Der Norwgorod-Chronik nach sollen 400 Deutsche und Dänen getötet worden sein, inklusive 20 Deutschordensritter. Über russische Verluste ist nichts überliefert.

Soviel zu Schlacht. Aber lässt sich das alles belegen?

Es gibt auf deutscher/dänischer Seite keine offiziellen Schilderungen der Schlacht, auch keine Liste der getöteten Adligen, anders als bei den anderen großen Schlachten dieser Zeit. Die russischen Beschreibungen sind allesamt erst etwa 20 Jahre nach der Schlacht entstanden, als Alexander Newski als Heiliger verehrt wurde. Schauen wir uns die Situation in Livland an:

Die ersten Kreuzritter tauchten 1230 im Baltikum auf. Auftrag war die Sicherung der Siedlungsgebiete gegen die räuberischen Pruzzen (dem Urstamm der Preußen übrigens). 1234 erhielt der deutsche orden die Genehmigung von Papst Gregor IX., einen eigenen Ordensstaat zu gründen. 1309 erst wurde Königsberg mit der Marienburg zum Hauptsitz des Ordens. Das Gebiet wurde durch eine lose Reihe von Burgen, größtenteils aus Holz, geschützt. Inventurlisten belegen, dass diese schwach besetzt waren, teilweise nur von 5-10 Rittern und etwa 20 Soldaten. Livlandfahrer gab es zwar bereits im 13. Jahrhundert, aber „in Mode“ sind sie erst im 14. und 15. Jahrhundert gekommen. Die deutschen eroberer haben um 1240 gerade im Baltikum richtig Fuß gefasst, die meisten späteren Ordensburgen waren noch nicht erbaut. Die Livländische Reimchronik berichtet von 20 getöteten Rittern, aber von keiner großen Schlacht. Und wenn es die Schlacht in dieser Größe wirklich gab, so solle diese sicher in den damaligen Werken beschrieben worden sein, sollte man annehmen. In den 60er Jahren wurde der See von russischen Histrorikern abgesucht, 1995 ebenfalls. Man fand nichts im Uferbereich oder im See selbst (außer einer Menge Schrott aus dem 2. Weltkrieg). Anders als auf Schlachtfeldern wie Wisby, Agincourt, Poitiers oder Crecy. Was derzeit am Wahrscheinlichsten ist: Es gab zwar die geschilderten Gefechte, aber es waren wohl eher nur die damals üblichen Grenzscharmützel mit etwas größerer Zahl. Die Zahl von insgesamt über 10.000 Mann, die sich dort schlugen, konnte jedenfalls bisher nicht belegt werden.
Zuletzt geändert von Hoover am Sa 04 Aug, 2007 13:41, insgesamt 6-mal geändert.
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Beitragvon troupier suisse am Sa 04 Aug, 2007 12:48

Eisensteins Film wurde einmal auf Arte gesendet, und von daher ist mir die Thematik bekannt. Die kruzifixschwenkende Kirche und die babiesmordenden Topfhelmteutonen kommen natürlich mies dabei weg. Mir war klar dass ein Film der in einem totalitären Regime entstand auch Propoganda sein muss (weshalb er aus diplomatischen Gründen vorübergehend aus den Kinos der Sowjetunion verschwand als man sich 1939 gemeinsam mit dem Deutschen Reich brüderlich über Polen hermachte), aber die konkreten Hintergründe kommen mir erst jetzt mit Deinem Beitrag.

Ratschlag am Rande - bilde kleinere Textblöcke. Wuchtbrummer wie der erste Hauptabschnitt sind schwer am Stück zu lesen, und das geht auf Kosten des interessanten Inhalts. Bin voller Erwartung auf die Fortsetzung.
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Beitragvon troupier suisse am Sa 04 Aug, 2007 13:36

Das ging aber schnell mit der Gliederung des Textes, und jetzt ist er auch gleich noch illustriert.

Es gibt Strömungen die davon ausgehen dass die Eisschlacht in ihren Dimensionen eher ein Gefecht gewesen sein soll. Dass auf russischer Seite von mehr umgekommenen Teutonen die Rede ist liegt in der Natur der Sache. Aber wenn da tatsächlich dermassen viele Ritter (Zahl ja im Prinzip ungewiss) einbrachen, dann wäre es interessant zu wissen ob in dem an seiner tiefsten Stelle nur 15 Meter tiefen See jemals archäologische Funde zu dieser mythischen Geschichte gemacht wurden?
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Beitragvon Hoover am Sa 04 Aug, 2007 13:41

Ha, da wir ich wieder schnell mit meiner Ergänzung \:D/
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