Salü
@lex hat geschrieben:1. Welche Bedeutung haben unsere „Nationalhelden“ Wilhelm Tell und Arnold von Winkelried für Dich, inwiefern kannst Du dich mit ihnen identifizieren und wie siehst Du den Wahrheitsgehalt ihrer Taten.
Gerade Willhelm Tell -- obwohl als Propagandamärchen gegen den Burgundervogt Peter von Hagenbach irgendwann um 1467/1470 herum erfunden -- hatte extremen Einfluss auf die spätere Gesellschaft und Politik. Schon während des Bauernaufstandes um 1653 gab es zum Beispiel 3 Rebellen die als "Drei Tellen" auftraten.
Arnold Winkelried (die Sempacher Figur, nicht der Realexistierende der 1522 an der Schlacht bei Bicocca gefallen ist), ist wohl eher als "Ersatzheld" für Willhelm Tell zu verstehen, denn dessen Erfinder Ägidius Tschudi hatte selbst schon Zweifel an dieser Tellengeschichte, und hat so 1563 den Sempacher Winkelried erfunden. Die spätere politisch/gesellschaftliche Dimension war entsprechnend dann auch geringer.
Noch etwas kleiner ist dann der Einfluass der regional erfundenen Helden wie Ueli Rotach.
Ich kann mich weder damit identifizieren, und ich weis ganz genau das sämtliche von diesen Helden erfunden sind. Wenn man einen "echten" Helden sucht der real existiert hat, dann ist das wohl am ehsten noch Bruder Klaus (plus ein Stapel von irgendwelchen Kriegshelden, meist Kommandanten wie Adrian von Bubenberg, aber die haben natürlich nicht diese Ikonenhaftigkeit von Individualhelden). Und vielleicht etwas später dann Dufour und eventuell Guisan.
Aber wie gesagt, diese erfundenen Helden sind aus historischer Sicht für die Schweiz enorm wichtig und haben Jahrhundertelang einen sehr profunden Einfluss gehabt. Tatsächlich sähe ohne sie die Schweiz ganz anders aus.
@lex hat geschrieben:2. Wo siehst Du den Zusammenhang zwischen Heldenkult und Religion und worin die Gefahren wenn sich ein Gemeinwesen an historischen Vorbildern orientiert?
Wenn es denn historische Vorbilder
wären. Es handelt sich hier aber um die Orientierung an einer erfundenen, stilisierten und mit zugeschriebenen Werten versehene Vergangenheit. Mit anderen Worten: Ein Glaubensbekenntnis des NeoKonservativisumus (ich versuche das von "echtem Konservativisums" abzugrenzen, welcher wirklich versucht Werte zu bewahren, und nicht neue erfindet und in die Vergangenheit projiziert): Man erfindet eine Vergangenheit die es nie gab und beschwört dessen Werte als "ursprünglich" (Beispiel: Abtreibung: Zwei Tausend Jahre lang war es durchaus "christlich" bis 12 Wochen nach der Empfängnis abzutreiben zu dürfen; nur neusterdings denken irgendewelche neokonservativen Christen das Abtreibung per so schon eine Todsünde wäre, und behaupten das wäre schon immer so gewesen).
@lex hat geschrieben:3. Durch den Missbrauch des heroischen Ideals durch den Nationalsozialismus wird die Heldenverehrung in unserer heutigen Gesellschaft als gefährliches Phänomen geradezu verpönt. Welchen Weg müsste man einschlagen um das heroische Ethos wieder zu beleben und wie müsste eine solche Person oder ein solches Ideal aussehen? Ist unsere Epoche überhaupt noch fähig, Heldenbilder hervorzubringen?
Uh, nun wirds schwierig. Braucht es welche? Oder wären die wenigstens eine vernünftigere Alternative zum modernen Heldenersatz "Popstar"?
Ich habe das Gefühl es braucht keine mehr. Nicht weil es keine Vorbilder braucht, sondern weil die "Helden" von wem auch immer instrumentalisiert werden. Selbst wenn Sie erfunden sind; so wird Tell alternativ als "Urdemokrat" als "Bauernrechtler" als oder als "Urkommunist" benutzt; je nachdem, und auf Seiten der Obrigkeit musste er dann für den "Zusammenhalt" einstehen.
Andererseits, wenn man vom Individual-Kriegshelden weggeht, vielleicht findet man da andere Helden- und Vorbilder welche durchaus attraktiv sind, und auch nicht so leicht instrumentalisiert werden können? Wer weis.