Kleines Glossar des Re-enactment

Allgemeines über die lebendige Geschichte.

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Kleines Glossar des Re-enactment

Beitragvon Major Kusanagi am Mi 26 Okt, 2005 21:17

Zuweilen trifft man auch im Re-enactment auf Spezialisten die über Bezeichnungen schwadronieren ohne sich um deren Etymologie zu kümmern. Man schafft sich Kategorien um die Welt in ordentliche schwarze und weisse Schubladen zu verpacken, und benutzt Wörter wie etwa "Farb" weil das eigene deutsche Vokabular ohne Anglizismen offenbar etwas kümmerlich wirkt.

Dabei ist die Welt dieser Sonderbezeichnungen aus dem Englischen durchaus unterhaltsam. Nachfolgend sei ein kleines Glossar aus der englischsprachigen Welt des Re-enactment ein wenig dargelegt.

A - Authenticity Fascist > Authentizitätsfaschist: Der britischen Re-enactmentszene entstammend. Selbsternannte Experten deren Hauptbeschäftigung darin besteht Fehler an Bekleidung, Ausrüstung oder Auftritt anderer zu suchen und herauszustreichen. Sind oft verbittert darüber dass es ihnen aus naheliegenden Gründen nicht gelingt dauerhafte sozialen Bindungen aufzubauen.

C - Costume Nazi > Kostümnazi: Siehe "Authentizitätsfaschist" wobei allerdings das Augenmerk explizit bei der Bekleidung liegt. Steigerung - Stitch Nazi > Nadelstichnazi: Jemand der seine Nörgelei auf kleine Details in der Bekleidung konzentriert.

B - Button Pisser > Knopfpisser: Aus dem Fachgebiet des Amerikanischen Bürgerkriegs stammende Bezeichnung für einen hartgekochten Re-enactoren der auf Messingknöpfe uriniert weil dies ihrer Oberfläche den neuen Glanz nähme und sie altert. Allgemein auf die fanatischen Jünger übertriebener Alterung von Repro-Gegenständen angewandt.

F - Farb(y) > Sowohl als Adjektiv als auch als Nomen verwendet. Korrekterweise "Far Be" (ausgesprochen Far Bi - eine phonetische Spielerei) hervorgegangen aus dem Eröffnungssatz "Far be it from me to say anything, but...", also "Es liegt mir fern etwas zu sagen (im Sinne von "kritisieren"), aber..." dem widersprüchlicherweise dann eine ausführliche Kritik an unkorrekter Bekleidung oder Ausrüstung der angesprochenen Person folgt. Im Prinzip die Umschreibung für einen Anachronismus. Angewendet auf Personen deren historisches Erscheinungsbild einen erheblichen Mangel an Recherche offenbart.

H - Haversack Stuffer > Brotsackstopfer: Aus dem Fachgebiet des Amerikanischen Bürgerkriegs stammende Bezeichnung für allerlei Kleinkram mit dem man den Brotsack füllen kann. Im übertragenen Sinne angewandt auf Personen die dazu neigen Brotsack und Tornister in unrealistischer Weise mit Material und Exponaten vollzustopfen, um diese dem Publikum vorzuführen, obschon kein Soldat jener Epoche je so viel Krempel ins Feld schleppte.

M - Motel Militia > Motelmiliz: Re-enactoren die das behagliche Logieren in einem Motel der Übernachtung im Camp vorziehen. Siehe auch "Ramada Rangers".

P - Powder Burner > Pulverbrenner: Aus dem Fachgebiet des Schwarzpulverschiessens. Angewandt auf Re-enactoren deren gehegte Passion das möglichst häufige Schiessen ist. Zuweilen schleppen sie einen halben Tornister Zusatzmunition ins Feld, um den Knallrausch über das Fassungsvermögen der Munitionstasche hinaus auszudehnen. Verwandt mit den "Kriegshuren".

R - Ramada Rangers > Nach einer Hotelkette benannte Personengruppe des Re-enactment die das gemütliche Logieren in einem Hotel der Übernachtung im Camp vorzieht. Siehe auch "Motelmiliz"

S - Sabre Fairies > Säbelelfen: Kavalleristen. Hauptsächlich auf berittene Re-enactoren angewandt die bei Schlachtdarstellungen über die Wallstatt geistern, wo sich die Originalschlacht zu 100% auf Infanteriekämpfe beschränkte.

T - Ten foot rule > Zehn Fuss Regel: Ungeschriebenes Gesetz das sich allgemein in der amerikanischen Re-enactorenszene mit dem Satz manifestiert "from ten feet away, it looks like period", also "Aus zehn Fuss Distanz sieht es epochegetreu aus". Angewendet wenn es etwa um die Verwendung moderner anstelle zeitgenössischer Materialien geht, was bei einem näheren Blick an den Tag träte.

T - Thread Counter > Fadenzähler: Bezeichnung für jemanden dessen Kenntnisse im Bekleidungsbereich derart detailiert sind, dass sie sich mit Phrasen manifestieren wie etwa "da sind zu viele Fäden pro Quadratzentimeter im Gewebe deines Waffenrocks". Im Allgemeinen angewandt auf Leute die sich zwar als Re-enactoren sehen, aber ihr wahres Fachgebiet in unablässiger Nörgelei im Textilbereich gefunden haben. Siehe auch "Authentizitätsfaschist" und "Kostümnazi".

W - War Whores > Kriegshuren: Umschreibung für Personenkreise deren einzige Berufung im militärischen Re-enactment das Kämpfen ist, und dabei kaum Interesse für historische Hintergründe und Recherche an den Tag legen. Sie zeichnen sich vielfach durch billige und anachronistische Uniformen und durch überzogenes Kampfgebahren aus.

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Beitragvon Napoleon am Do 27 Okt, 2005 17:23

Ich wusste es doch schon immer, an dem Major ist ein Autor verlorengegangen.

Aber wo er Recht hat da hat er Recht.
Also eigentlich kenne ich aus allen Szenen genau solche Leute, und zum Teil muss man nicht einmal aus der Schweiz raus um die zu finden. :-&
Jeder Erfolg, den man erzielt, schafft uns einen Feind. Man muß mittelmäßig sein, wenn man beliebt sein will.
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Beitragvon Monty am Do 27 Okt, 2005 17:52

Sehr Imformativ.
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Beitragvon Hagelhans am Do 27 Okt, 2005 19:48

Meine liebsten Freunde sind die an der schweren psychischen Störung "Histerisch-Autistisch" leiden. (Nicht zu verwechseln mit Historisch-Autentisch :D )
Sie kennen eine, meis sehr divuse Quelle und beharren ohne auch nur auf ein Argument einzugehen auf ihrer Auslegung.
Die sehr schwer Betroffenen dieser Krankheit vixieren sich dan sogar nur noch auf ein Fachgebiet ohne zu bemerken das sie sich sonst selber total verkommen lassen.
"Mein Umhang ist aus Vorhangstoff, meine Schuhe sind aus der Jetztzeit, meine Uhr trage ich immer und enge Beinlinge sind mir zu unbequem. Aber DEIN Gürtel ist 50 Jahre zu alt und MEINER ist exakt autentisch!"

"Es war im 15. Jh. nicht üblich Metalteile einfach vortzuwerfen. Könte meine Schnalle und das Endstück nicht ein Erbstück sein?"

"Von Erbstücken steht nichts in MEINEM BUCH! Es ist nicht belegt das Gürtel vererbt wurden!"

](*,) Bis auf die anfängliche Selbstkritik so erlebt.
"Wir sind alle Anerkennungsjunkies - Affen in Anzügen, die um Applaus betteln." -Jake Green.
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Beitragvon Voltigeur am Do 27 Okt, 2005 20:12

Unser Admin schrieb. :
Also eigentlich kenne ich aus allen Szenen genau solche Leute, und zum Teil muss man nicht einmal aus der Schweiz raus um die zu finden.

Das ist doch genau das was ich unseren Edel Militzen vorwerfe.


Grüsse vom Voltigeur
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Beitragvon Major Kusanagi am Do 27 Okt, 2005 20:21

Anstatt eine englische Umschreibung zu gebrauchen will ich hier einfach einmal wieder den guten alten Titel "Nervensäge" beliebt machen. Er lässt sich beispielsweise auf das von Hagelhans trefflich beschriebene Krankheitsbild anwenden. Ich erlebte selbst vor über einer Dekade einen ganz besonderen Kandidaten, der bis hin zu den langen Armeeunterhosen und den selbst in Handarbeit auf alt etikettierten Konservendosen absolut authentisch einherschritt.

Sein Glaube an seine eigene perfekte "Impression" verleitete ihn dazu, einem Veteranen der von seiner Kriegszeit erzählte solange mit Verbesserungen und Zweifelsäusserungen ins Wort zu fallen, bis der ihm schliesslich erbost die Frage an den Kopf warf, wer von den Anwesenden hier nun eigentlich in diesem Krieg gekämpft habe. Auch unter den manisch-authentischen gibt es echte Nervensägen.
Major Kusanagi



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Beitragvon Napoleon am Fr 28 Okt, 2005 17:27

Die Umschreibung jedes einzelnen würde doch wohl Bücher füllen.
Aber ehrlich gesagt, oftmals wird doch nur sein eigenens Ego in den Vordergrund gebracht und nicht die Sache selbst.
Jeder Erfolg, den man erzielt, schafft uns einen Feind. Man muß mittelmäßig sein, wenn man beliebt sein will.
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Beitragvon Napoleon am So 30 Okt, 2005 12:43

Wie per Zufall findet sich ein ähnlicher Artikel in einem anderen Forum wieder.

...es schütz vor Verblendung
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