Wie übernachtet der wahre Re-enactor?

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Wie übernachtet der wahre Re-enactor?

Beitragvon Major Kusanagi am Sa 01 Okt, 2005 19:30

Nun, da Voltigeur und Napoleon vor Ulm im Felde liegen, will ich dies nutzen ihnen ein wenig in den Rücken zu fallen. Den Advocatus diaboli möchte ich spielen und eine Sache auf den Tisch werfen die auch schon in diesem Forum zur Sprache kam. Kann einer der nicht im Zelt auf Mutter Erde nächtigt ein echter Re-enactor sein? Es gibt Hardliner für sich jeder disqualifiziert der eine andere Art der Nachtruhe bevorzugt.

Ich will vorausschicken dass ich mich vor einer guten Dekade von der Bühne des Re-enactment verabschiedet habe. Einst gehörte ich zu jenen pathologischen Fällen die sich tief in ihre "Sache" versenkten, ja geradezu reinbuddelten. Meinen letzten echten Auftritt im Feld hatte ich mit dem 1st Battaillon the Gordon Highlanders (153rd Infantry Brigade, 51st Highland Division), wobei es um die Darstellung des Feldzugs in Nordwestfrankreich 1944 ging.

Das authentische Schlafen im authentischen Zelt war mir damals nicht authentisch genug, da ja das Frontschwein der britischen Armee wahrlich nicht jede Nacht im Feld den Luxus eines Zeltes geniessen konnte (wobei es übrigens vielen Soldaten in unzähligen anderen Kriegen nicht anders erging). Also buddelte wir paar "Mordus", wie die Franzosen solche Hartgekochten nannten, Schützenlöcher für die Nacht und deckten diese mit unseren Ground-Sheets.

Das Smallpack als Kopfkissen, den flachen Helm ins Gesicht gerutscht und die sperrige Enfield als stete Prinzessinenerbse drückend in der Seite oder im Rücken, lag meinereiner einigermassen gekrümmt in seinem Dreckloch und spielte schlafender Soldat im Krieg. Das war ja alles gut und recht, aber es hatte keinerlei pädagogischen Wert, da nun mal keine Zuschauer die ganze Nacht am Rand des Loches hockten um uns beim authentischen Ratzen zuzusehen.

In jenen längst vergangenen Tagen schnupperte ich auch in anderen Ebenen herum, so etwa bei den Darstellern des US-Sezessionskrieges und zwar bei den Unionstruppen. Auch das Schlafen auf dem gummierten Regenschutz unter der Zeltplane oder im geschlossenen Zweimannzelt hatte seinen Reiz und hilft dem Re-enactor die Epoche besser zu verstehen. Und die Begleiterscheinungen werde ich auch nie vergessen - mit allen lästigen Nuancen die sie mit sich brachten.

Angeheiterte Kameraden die mitten in der Nacht über die Zeltschnüre stolpern und einem das Dach über dem Kopf einreissen. Camps wo wegen der Sensibilität von Feld und Flur keine Wassergräben um die Zelte gezogen werden durften, und ausgerechnet dann nächtliche Schauer einem die grosse Flut unter die Decke trieben (gefolgt von einem Tag des authentischen Schlotterns in nassen Klamotten). Müde Krieger die ins falsche Zelt und den darin Ruhenden auf Bauch und Kopf tappen.

Besonders unvergesslich ist mir jene authentische Nacht am Rande eines Waldgebietes, wo ich mir im Schlaf Zecken einfing, auf die bekanntlich die Buttersäure des Schweisses eine besondere Anziehungskraft ausübt. Und Schweiss vergiesst der passionierte Re-enactor im Sommer ja genug. Der Zeckenbiss in die Kniekehle hatte keine dauerhaften Folgen. Bloss mein Hang zum authentischen Übernachten kühlte danach allmählich ab.

Aus der Sicht des Schaukelstuhlstrategen werfe ich heute keinem Re-enactor das Übernachten in geschützen Unterkünften vor. Schon zu meinen aktiven Zeiten überliess ich diese Entscheidung jedem einzelnen und verspürte keinerlei Dünkel bloss weil ich im Dreck schlief und der Sergeant im Massenlager einer Turnhalle. Ich verwerfe das hinkende Argument, dass die Jungs damals monatelang so nächtigten, und ein wahrer Re-eactor dies folglich auch für nur einige Nächte ertragen müsse.

Dann müsste er folgerichtig in der steten Erwartung eines überraschenden Feuerschlags feindlicher Artillerie oder eines Stosstrupps in einen leichten Schlaf fallen, der es ihm ermöglicht jederzeit mit der Flinte aufzuspringen und ins Gefecht zu ziehen. Kein Re-enactor wird je das Leben im Krieg wirklich erfassen können, und darüber sollte er froh sein. Solange einer eine korrekte und authentische Darstellung beim Auftritt im Feld bietet, darf er meinetwegen schlafen wo er will ohne abgewertet zu werden.
Zuletzt geändert von Major Kusanagi am Sa 01 Okt, 2005 19:55, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Hagelhans am Sa 01 Okt, 2005 19:41

Hm? Bei mir ist es halt so, dass ich Abeds jeweils zum "Gewandsäuffer" mutiere und meistens erst bei den erste Sonnenstrahlen lagsaqm den Drang verspüre doch noch ein Nickerche zu machen. Um eine Unterkuft aufzusuche ist es da meistes zu spät. Ich rolle mich dan in meinen Wollumhag und lasse meie müden Glieder an den letzten Gluten des Lagerfeuers erwärmen.

Wen ich mit dem Marktstand unterwegs bin, erübrigt sich so oder so jegliche Suche ach eer Unterkunft. Dan schlaffe ich bei meinen Waffen.
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Beitragvon Major Kusanagi am Sa 01 Okt, 2005 19:58

Das Mittelalter hat halt diesbezüglich gewisse anarchischen Vorteile. Nix von Trompetenklängen die einem aus dem Schlaf reissen und von Unteroffizieren die einem zum Appell unter der Decke hervorzerren.
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Beitragvon Hagelhans am Sa 01 Okt, 2005 20:11

Ja. aber dafür gab es so etwas noch nicht... http://lebendigegeschichte.phpbb.ch/ftopic134.html

Und Kaffee am Morgen...naja da vergesse ich manchmal die zuspielende Epoche. O:)
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Beitragvon Major Kusanagi am Sa 01 Okt, 2005 20:22

Solange Du nicht mit einem grossen Glas Nutella, einem Toaster und einem transportablen Fernseher beim mittelalterlichen Frühstück unter die Augen von Zuschauern gerätst, solltest Du an sich auch vor einer verdienten Steinigung sicher sein. Lucky Jacks Kocher ist zugegeben ein echt scharfes Teil. Und was dem Ami sein Kaffee, das war uns Highlandern der Tee aus der omnipräsenten emailierten Blechtasse.
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Beitragvon Monty am Sa 01 Okt, 2005 20:25

Da kann ich nur zustimmen.So eine schöne Tasse Englischen Tees am Morgen ,ist Gold wert.
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Beitragvon Major Kusanagi am Sa 01 Okt, 2005 20:33

Und vergessen wir nicht diese Szene aus der Brücke von Arnheim, wo Major General Roy Urquhart sich fragt, ob eine Tasse Tee Angesichts der gewaltigen Probleme und von aus dem Wald kommenden Irren die einem auslachen wirklich etwas daran zu ändern vermag. Auf jeden Fall kann sie aber nicht schaden!
Major Kusanagi



Beitragvon Monty am Sa 01 Okt, 2005 21:13

LOL genau.
Es gibt ja genügend beispiele ,wo die Briten in den Unmöglichsten Situationen Tee trinken.Das beweisst ja das ,sie nie den Kopf verlieren.
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Beitragvon Major Kusanagi am So 02 Okt, 2005 17:30

Jeder nach seiner Mentalität. Wenn Amerikaner unter Stress kommen, stellen sie den Feuerwahlknopf auf Vollauto und ziehen den Abzug bis Magazin leer. Haben einfach keine Selbstbeherrschung, diese Yanks.
Major Kusanagi



Übernachtung

Beitragvon Napoleon am Sa 08 Okt, 2005 11:27

Ich glaube dass wird eine nichtendende Diskusion.

Leider sieht man ja allerhand bei solchen Events.
Vom lila Schlafsack bis zum in seinen Mantel eingerollten Darsteller. Vergessen solte man sicher mal, dass die meisten sich den Luxus nicht erlauben können, jede Montag nach dem re-enactemnt sich im Büro krank zu melden.

Aber es gibt sicher viele Möglichkeiten eine grosse Authenzität hinzubekommen, ohne dass man gleich krank wird.
Nur man muss es auch wollen, und daran scheitert doch so mancher.
Viele geben sich nach meiner Meinung einfach auch zu wenig Mühe.

Was mir immer mehr auffällt ist, dass z.B. bei Schlachtdarstellungen immer öfter grosse Lager aus dem Boden gestampft werden. Das sieht zwar hübsch aus, doch wie nah kommt das an die Wirklichkeit heran.

Meist waren die Soldaten doch Tagelang unterwegs. Das Biwakmaterial wr wahrscheinlich nicht das wichtigste in der Zeit, wo man entweder im Wald oder in den paar wenigen Häusern Schutz suchte. Um es ganz korrekt zu machen, müsste jeder der einen voll auf Hardcore machen will sich mit dem begnügt was er tragen kann und sich dann auch die Tage die der Event dauert, sich entweder eine sonstige Unterkunft zu suchen, oder so wie es vorallem bei der US Civil War Szene ein paar wenige Gruppen gibt, jede Nacht ab in den Wald.

Gut, ich glaube währe das Standart hätten wir eine noch kleinere Szene.
Aber gemacht haben sollte man das auf jeden Fall mal, auch wenn es dann nicht immer so ist. (Sucht euch aber keine Hochsommernacht aus, sondern eine veregneten Herbstnacht) :D
Jeder Erfolg, den man erzielt, schafft uns einen Feind. Man muß mittelmäßig sein, wenn man beliebt sein will.
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