Stimmt, am Theater macht der Kostümbildner die Recherche und die Schneiderei die Arbeit, die Schauspieler müssen sich da um nichts kümmern (einige können es trotzdem nicht lassen und hängen ihr Maul überall mit rein, aber das ist was Anderes) Aber wenn ihr keinen Kostümbildner habt müsst ihr die Arbeit wohl oder übel selber machen
(das ist dann sogar schon eine Form von Living History, bis ca zur Jahrhundertwende mussten Schauspielerinnen nämlich selber für ihre Kostüme aufkommen, und nicht nur irgendwelche Kostüme, sondern bitte auch nach der neusten Mode. Drum waren viele gezwungen, sich von reichen Herren aushalten zu lassen...)
Und jetzt kommt der Knackpunkt, warum hier die Wellen so hoch gehen, und zwar der Unterschied zwischen Theater und Living History. Ein Theaterkostüm muss hauptsächlich den gewünschten Eindruck vermitteln, die historische Korrektheit ist da mal Nebensache, schön wenns einigermassen stimmt, aber da gehen die Ansichten und Vorlieben weit auseinander und sind beliebig dehnbar, da wird jedenfalls in den allerwenigsten Fällen drauf geachtet. Schon allein weil wir nie im Leben Zeit hätten alles von Hand zu nähen, und die Sängerinnen sich auch nicht in einer Minute von einer kompletten Schale in de nächste umziehen könnten wenn da nicht getrickst würde (und wenn an den Schauspielschulen Kostümgeschichte so unterrichtet wird wie bei uns in der Lehre damals, einmal mit viel Blabla seitlich dran entlangschiessen und noch ein par Klischees mitnehmen, dann ists kein Wunder wenn die Schauspieler da nicht wirklich Ahnung haben...) Ein Theaterkostüm muss dazu noch den Ansprüchen der Regie genügen (die sich auch in den allerseltensten Fällen um historische Korrektheit bemüht), also wenn die Schauspielerin sich in "Rokoko" z.B. in einen schmalen Lehnstuhl setzen soll dann muss die Kostümabteilung sich was ausdenken was aussieht wie eben ein Panier aber schmerzlos auf Hüftbreite quetschbar ist - das endet dann in historisch völlig falschen Materialien und Verarbeitungen, was aber auch egal ist, da es eben ein Theaterkostüm ist und nie behauptet historisch korrekt zu sein.
Living History dagegen ist, wie schon von einigen hier gesagt, lebende, erlebte Geschichte, und zwar für Zuschauer und Darsteller, d.h. es sollte alles so korrekt sein wie nur möglich, nicht nur optisch und äusserlich, sondern auch innen und untendrunter. Living History trägt KLEIDER, keine KOSTÜME. Um beim Beispiel Rokoko zu bleiben, ein KLEID braucht die richtige Unterwäsche, die richtigen Unterbauten, die richtigen Verschlüsse... Bei einem TheaterKOSTÜM stört sich niemand an einer Hakenkante im Rücken und gestäbeltem all-in-one Mieder, eben weils ein Kostüm ist, bei einem Living History KLEID geht das nicht, eben weils ein Kleid ist. Theater tut so als ob, Living History sollte so sein wie.
Drum würde bei einer als "szenische Stadtführung" beworbenen Tour niemand motzen, wenn allerdings Living History draufsteht erwarte ich kein "Theater" mit Marktmittelalter und Leonardo Carbone-Kleidern, sondern eben "das Echte", also gegebenenfalls hanndgenäht, Materialien, Farben und Schnitte die sie in der dargestellten Zeit hatten... (nichts gegen Theater, ich arbeite schliesslich an einem, nur die Bezeichnung muss stimmen)
Aber ich finds gut wollt Ihr Euch informieren (besser spät als nie...) und wir beissen hier auch niemanden der interessiert fragt, es kommt nur etwas, hm, seltsam rüber wenn man sich einfach mal hinstellt und sagt "dann sagt uns mal was wir wie machen sollen" Für das engagiert man Leute. Hilfe es selbst zu machen wird hier gerne gegeben, in Form von Buchtips oder Materialquellen, nur einfach mal so eben gratis fremde Arbeit erledigt nicht
Niemand ist so wehrlos wie ein toter Autor oder Komponist gegenüber einem lebendigen Regisseur