von Seegras am Di 17 Feb, 2009 22:12
Mir ist nochwas eingefallen was da mitspielt: Kritikfähigkeit.
Wenn ich irgendeinen Reenactor auf ein Kleidungsdetail anspreche das meinerseits zweifelhaft ist, dann gibt es zwei verscheidene Varianten von Reaktionen.
Was ich erwarte ist eine dieser beiden:
- "Ja, ich weis, das ist nicht korrekt; ich trage das noch weil/ich habe das interpoliert von/ich warte auf Ersatz".
- "Nein, das ist so. Der Beleg ist da und da zu finden. Ich habe das nach derundder Vorlage gemacht".
Seltener gibts noch eine weitere Variante:
- "Ups! Das wusste ich gar nicht, werde ich nachforschen/ändern".
Das sind nicht nur die Reaktionen die ich von anderen Reenactoren erwarte, sondern ebenso von mir selber. Ich erwarte dass ich weis was an meiner Hose falsch ist, spätestens wenn ich sie länger als ein paar Monate habe; und ich erwarte auch dass andere das genauso von Ihrer Ausrüstung wissen, und ebenso reagieren. Tatsächlich frage ich öfters mal Leute was denn ihrer Meinung nach an ihrer eigenen Kleidung falsch sei. Die meisten haben eine ganz gute Ahnung. Wenn sie es nicht wissen aber ich, dann ists entweder ein extremer Anfänger oder irgendwas ist faul.
Und das gilt auch für den Umgang mit Besuchern. Wenn jemand auf etwas Zweifelhaftes hinweist ist das ernst zu nehmen. Spätestens wenn man mal von einem Museum für einen Anlass eingeladen wurde kann man es sich einfach nicht leisten anders zu reagieren; der Besucher der vor einem steht könnte ein Historiker sein... mit Fachgebiet Sachkultur... auf Bronzeguss... der erkennt das deine Gürtelschnalle 20 Jahre zu spät ist... und aus England...
Insofern habe ich wenig Verständnis für diese Wohlfühl-Postings nach dem Motto "sieht toll aus", wenn ich dann auf dem gleichen Bild Fehler oder wenigstens sehr zweifelhafte Dinge entdecke. Dann schreibe ich das auch; erst recht wenn vorher so ein paar dieser "finde ich toll"-Postings gekommen sind. Wer nicht weis was falsch ist wird nicht besser.
Tatsächlich schreiben wir hier alle vor Publikum: Nämlich mindestens vor den Leuten im Forum die jeweils grad eine andere Epoche darstellen. Auch denen möchten wir ein möglichst korrektes Bild "unserer" Epoche vermitteln, und da gehören eben im Mittelalter keine Holzklocks dazu etc.
Was aber manchmal auch noch kommt ist sowas hier:
- "Ich weis, das ist mir Scheissegal/ich will nix anderes"
- "Na und? Wusste ich noch nicht, will ich gar nicht wissen".
Und da ist natürlich der Laden meinerseits komplett unten.
Wer hier im Forum, unter Reenactoren selber sozusagen, keine Kritik verträgt, was wird dann der an Veranstaltungen oder gegenüber einem grösserem Publikum behaupten? Was denkt wohl obiger Historiker über Historiendarsteller im allgemeinen wenn er von einem was vorgelogen bekommt?
Ehrlich gesagt, ich glaube nicht dass wir wirklich abschreckend sind, ausser für eine bestimmte Klientel. Selbst wenn man hier im Forum mal eins gegen die Brust bekommt, so kommt nicht nur destruktive sondern durchaus konstruktive Kritik, und auch meist verschiedene Meinungen von verschiedenen Leuten.
Durchaus kommt auch mal Lob. Wenn jemand sagt "Die Gürteltasche ist fein, aber die Schnalle passt nicht" ist das zur Hälfte ein Lob; aber natürlich kann das nach dem erwähnten Grundsatz dass alles viel heisser gegessen wird komplett ignoriert werden und nur als Kritik gelesen werden.
Wer dann natürlich anfängt sich zu rechtfertigen und zu jammern er werde nur angegriffen, statt zu fragen wie ers besser macht hat logischerweise verloren. Dann sind wir alle Arrogant, wollen niemanden neuen haben weil wir ihm nicht die Schultern tätscheln, sind nicht hilfsbereit, weil wir erwarten dass er die Bücher selber liest oder Google selber bedient etc.
Honi soit qui mal y pense