von Pica am Di 03 Jun, 2008 21:21
Hier noch für alle meinen Leserbrief:
„Mittelalterliches“ Hof-Spektakel
Wil ist eine Stadt, welche sich hervorragend für einen Mittelaltermarkt eignet. Umso grösser war die Freude, dass so ein Markt in Wil organisiert wurde und damit erst noch die nächste Bauetappe des Hofes unterstützt wird.
Ein Spektakel war es wirklich, auch wenn es nicht viel mit Mittelalter zu tun hatte. Wo in Deutschland der Sättigungsgrad langsam erreicht ist, stecken diese Mittelaltermärkte in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Das erkennt man schon daran, dass viele Darsteller und Händler aus Deutschland sind. Leider gibt es darunter viele, die mehr am Finanziellen interessiert sind als am seriösen Vermitteln mittelalterlichen Lebens.
In der Schweiz wächst seit ein paar Jahren eine eigene „Mittelalter-Szene“ heran und mit ihr viele Leute mit dem Ziel, an Märkten und Museumsveranstaltungen dem Zuschauer möglichst authentisches Leben zu zeigen. Im Heerlager am Weiher sah man vereinzelt solch gute DarstellerInnen, die auf ein authentisches Aussehen einfacher Leute des Mittelalters achten. Als Vorlage für die meist von Hand genähten Trachten dienen Abbildungen und Dokumente aus Büchern des jeweiligen Jahrhunderts sowie Fresken, Kirchmalereien, Funde usw.
Leider aber lief ein Grossteil der restlichen Bewohner und Schausteller in Phantasiegewändern aus Baumwolle (welche es in Europa kaum gab) und Pannesamt (die Gebrüder Grimm lassen grüssen) herum, in Piratenhemden und anderem Flickwerk, vom Schuhwerk (über Turnschuhe bis Sandalen von Schuhladen) ganz zu schweigen. Bei schönem Wetter wäre barfuss eine einfache Alternative. Auch geschnürte Mieder, Schnallenschuhe und Halskrausen stammen aus weit späteren Epochen.
Schön ins mittelalterliche Bild eingefügt haben sich dafür die Mehrheit der Verkäufer an den Marktständen, welche sich sonst nicht mit diesem Thema beschäftigen.
Wils erstes Hofspektakel hatte den Charakter eines kleinen Jahrmarktes mit mittelalterlichen Elementen. Die Stimmung selbst hingegen war sehr schön. Die Besucher hatten ihren Spass und die Gaukler trugen dazu wesentlich bei, auch wenn Schlangenbeschwörer und Bauchtänzerinnen bestimmt im Mittelalter nicht in Wil zu sehen waren. Laut der Schneiderin vor Ort war die Nachfrage nach Gewändern sehr gross, was ebenfalls beweist, dass die Besucher gerne in diese Zeit eintauchen möchten. Das verpflichtet die Veranstalter jedoch umso mehr, den Leuten einen möglichst authentischen Markt zu bieten.
Wenn Wil mit seiner wunderschönen Kulisse das Hof-Spektakel nun wirklich jährlich ausführen will wie gemunkelt wird, dann gibt es noch viel Verbesserungspotential. Nur schon das Trennen der Verpflegungs- und der Handwerkerstände würde das Bild sofort erheblich verbessern. Es ist einfach schade, wenn neben einem Waffenstand Magenbrot verkauft und Soft-Ice angeboten wird. Ebenso störten das Partyzelt und die Stehtischchen das Bild auf dem schönen Marktplatz. Es wäre schade um die Idee, wenn sich Wil in die Reihe der unsäglichen Fantasy-Märkte, wie sie in Deutschland an jedem Wochenende anzutreffen sind, eingliedern müsste. Der altehrwürdige Hof hat einen schönen Markt verdient und ich hoffe, dass der nächste bereits viel gehaltvoller wird.
Pica
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