Vernunft kann tödlich sein
Es ist die Resistenz gegen die Abgeklärtheit des Erwachsenenalters, die Jean-Pierre Jeunet in nahezu all seinen Werken («Delicatessen», «La cité des enfants perdus», «Amélie») predigt und auch in seinem jüngsten Film wieder aufnimmt: Vieles spricht dafür, dass Mathildes (Audrey Tautou) Verlobter Manech (Gaspard Ulliel) wenige Meter vor einem Schützengraben verendete. Doch kindliche Hoffnung und kaum vorhandene Indizien lassen Mathilde an sein Überleben glauben. Wie in «Amélie» ist Audrey Tautou als überfranzösische Kindfrau im Einsatz, die mit Kleinmädchen-Attitude durch die böse, kriegsgeschändete Welt wandelt.
Von ihrer idyllischen Heimat über den bretonischen Klippen, wo sie mit Tante und Onkel lebt, bricht Mathilde wiederholt nach Paris auf, um dank diversen Gehilfen (Detektive, eine Prostituierte auf Rachefeldzug, Kriegsüberlebende - Jodie Foster spielt eine davon) Details über die letzten Tage ihres verschollenen Geliebten herauszubekommen. Kinderlähmung hat sie mit einem lahmen Bein zurückgelassen, doch kein Gang ist ihr zu weit.
«Un long dimanche de fiançailles» widmet den grössten Teil seiner Zeit dem Grauen des Krieges und den emotionalen Verwüstungen, die er anrichtet. Jeunets Liebe zu (optischen) Details dient in die diesem Fall dazu, das Schlimmste zeigen. So wird die Off-Stimme, die berichtet, wie Manech den Verstand verliert und fortan in einer Art Delirium vor sich hinvegetiert, nachdem ein Kollege von einer Granate über ihm in Stücke zerrissen wurde, auch von entsprechenden Bildern untermalt.
Doch selbst wenn Jeunet seinen unverkennbaren visuellen Stil einsetzt, wirkt seine Geschichte niemals beschönigend oder gar romantisierend. Seine Adaption des Meisterwerks des im Frühjahr 2003 verstorbenen französischen Autors und En-gros-Drehbuchlieferanten Sébastien Japrisot (unter anderem «L'été meurtrier» - verfilmt mit Isabelle Adjani) karikiert zwar seine Akteure, trägt aber gleichsam dem Kriegswahnsinn Rechnung: Es gelingt Jeunet, den Tonfall des Films zwischen Humor und Horror oszillieren zu lassen und gerade dadurch der Realität nahe zu sein - ein Wagnis von einer Präzision und Kraft, das sich nur mit dem französischen Wort «Esprit» würdig bezeichnen lässt.
Irritierend ist dabei einzig und allein die Amélie-ähnliche Skizzierung von Audrey Tautous Charakter. Weder Herz noch Verstand möchten diese beiden so unterschiedlichen Filme auf diese Weise in Verbindung gebracht sehen.
Spezieller Film aber gewaltig in seiner Darstellung über das Grauen des Grabenkrieges des ersten Weltkrieges....
Mfg L-Jack