Wie ertragreich die britische Geschichte doch für das Kino ist. Nach «Elizabeth: The Golden Age» widmet sich «The Other Boleyn Girl» nun sozusagen der Vorgeschichte. Im Zentrum stehen die Schwestern Anne (Nathalie Portman, «V for Vendetta», «My Blueberry Nights») und Mary Boleyn (Scarlett Johansson, «The Prestige», «The Island»). Die beiden Mädchen wachsen im idyllischen Dörfchen Rochford auf. Doch ihr Vater (Mark Rylance) und dessen Schwager, der Duke of Norfolk (David Morrissey, «The Reaping»), beabsichtigen durch geschickte Vermählungen den Einfluss und Reichtum der Familie zu stärken.
Weit entfernt braut sich ein Unwetter über dem Königreich zusammen. König Henry VIII (Eric Bana, «Munich», «Troy») erwartet von seiner Gattin Katharine of Aragon (Ana Torrent) endlich einen männlichen Nachfolger. Doch der ersehnte Junge stirbt bei der Geburt. Am Tag als Mary ihre Hochzeit feiert, erfahren die Boleyns, dass ihnen Henry VIII einen Besuch abstatten wird. Anne erhält die Herausforderung, die Aufmerksamkeit und Gunst des Königs zu erlangen.
Als der König den Landsitz der Boleyns besucht, wird er allerdings durch die ungestüme Anne in seiner Ehre verletzt. Danach hat er nur noch Augen für Mary. Sie soll mit ihrem Mann nach London in das Schloss von Henry VIII ziehen. Der König lässt die junge Frau unmissverständlich wissen, dass er von ihr körperliche Befriedigung erwartet. Doch Henry ist auch charmant, und so verliebt sich die jüngere Schwester in den König. Als sie schwanger wird, kühlt sich die Beziehung jedoch wieder ab. Anne wird als Aufpasserin zwischen die Fronten geschickt.
Wie es die Geschichte will, bringt Anne nach einer weiteren unglücklichen Episode den katholischen König dazu, sich von seiner Gattin scheiden zu lassen. Das führt unvermeidlich zu einem Bruch mit dem Papst. Henry VIII ist nun Oberhaupt der anglikanischen Kirche, und obschon er sich nun mit Anne vermählt, ist er über diese Entwicklungen überhaupt nicht zufrieden. Anne gebärt ihm eine Tochter, wodurch das angespannte Verhältnis auch nicht gelockert wird. Als bei der nächsten Schwangerschaft der Verdacht aufkommt, Anne habe mit ihrem Bruder geschlafen, wird sie zum Tod durch Entköpfen verurteilt.
So oder ähnlich haben sich die Ereignisse zugetragen. Die Schriftstellerin Philippa Gregory hat aus den Eckdaten ein einfühlsames Drama über die Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft geschaffen. Dieser Roman ist nun opulent auf die Leinwand umgesetzt worden. Die Stärken der Inszenierung liegen dann auch einerseits bei den Kostümen von Sandy Powell, die für «The Aviator» und «Shakespeare in Love» Oscars gewonnen hat, andererseits aber auch bei der vielschichtigen Auseinandersetzung mit eben der gesellschaftlichen Stellung der Frau.
Die historischen Umstände – von Gregory ausführlich auf über 600 Seiten erzählt – werden von Drehbuchautor Peter Morgan («The Queen», «The Last King of Scotland») verständlicherweise auf einige nachvollziehbare Szenen reduziert. Schildert Gregory die Ereignisse noch aus der Sicht von Mary, bezieht Morgan die Stellung eines neutralen Beobachters. Doch auch aus dieser Position lässt sich erkennen, wie Frauen gleichzeitig missbraucht worden sind, aber auch über mehr Macht verfügten, als manchen Männern lieb war. Im Spannungsdreieck zwischen den Liebenden entspinnt sich so ein fesselnder Abnützungskampf mit zahlreichen Intrigen und undurchsichtigen Ränkespielen.
Fernsehregisseur Justin Chadwick nähert sich den Figuren mit einer gesunden Distanz. In vielen Einstellungen lässt er die Figuren hinter Absperrungen auftauchen oder trennt einen Teil der Leinwand durch Konstruktionen im Vordergrund ab. Dadurch entsteht auch eine Atmosphäre der Bespitzelung, die durchaus angebracht ist. Am Hof von Henry VIII war niemand vor neugierigen Augen und Ohren sicher.
Eine amüsante Randnotiz: Eddie Redmayne spielt in «The Other Boleyn Girl» den späteren Ehemann von Mary Boleyn und somit den Stiefonkel von Elizabeth I. In «Elizabeth: The Golden Age» verkörpert er das Mitglied einer Verschwörung, das auf Elizabeth I einen Anschlag verübt, dabei aber scheitert.
Fazit: «The Other Boleyn Girl» ist ein intimer Blick auf eine historisch bedeutende Epoche aus der Sicht des «schwachen» Geschlechts.
Trailer: http://outnow.ch/media/trailers/2008/OtherBoleynGirl/
Geschichte: http://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Boleyn