TANNHÄUSER ODER DER SÄNGERSTREIT AUF DER WARTBURG
Erstens - es ist lang. 4,5 Stunden inkl Pausen. Zweitens - es lohnt sich. Zuerst war ich ja sehr skeptisch, sie haben den guten Tannhäuser in eine ziemlich heutige Welt gesetzt - der Venusberg ist ein dekadentes Edelpuff, die grosse Halle auf der Wartburg ein Fernsehstudio wie man es von den ganzen Castingshows kennt, und die heimkehrenden Rompilger kommen auf einem Bahnsteig an. Ich Kunstbanause bin also mit nicht allzu grossen Erwartungen rein - und wurde positiv überrascht, das Ganze macht Sinn und reisst wirklich mit. Der Venusberg ist herrlich dekadent, die Gäste sind unter anderem ein Haufen Kirchenvolk (die sich dann im 2 Akt EMPÖREN dass Tannhäuser im Venusberg war, wie kann er nur, der Sittenstrolch!) die Belegschaft trägt zwar sehr wenig (optisch, es sind hautfarbene Trikots, also keine Quotennackten) dafür varietemässige schwarze Spitze und Federn, und Venus (Vesselina Kasarova in Hochform) selber ein wunderschönes von schwarz zu rot verlaufendes Seidenkleid (auch hier nicht vulgär freizügig, es hat lange Ärmel und einen langen Rock, nur der Ausschnitt ist waffenscheinpflichtig). Tannhäuser selber (Peter Seiffert, eigentlich singt er schön und spielen tut er auch gut, nur ab und zu schreit er etwas zu sehr für meinen Geschmack, aber das tun Wagnertenöre anscheinend öfter) ist im Bequemlook mit zerstrubbelten Haaren, Hemd über der Hose und offenem Mantel. Einige Aktionen von Belegschaft und Gästen kommen einem zwar etwas seltsam vor, aber anscheinend hat das good old Richi selig selber so vorgeschrieben (wie der von den Mänaden zerlegte Orpheus, Europa und der Stier, Ledas Schwan... keine Ahnung was das im Venusberg verloren hat, aber wenn der Maestro selber das so wollte
Ist jedenfalls nett, dass sich mal ein Regisseur die Zeit nimmt das "alte, verstaubte Zeugs" zu lesen und es auch umzusetzen)
Die Wartburggesellschaft ist dann die High Society in Abendkleid und Frack (Nina Stemme als Elisabeht singt nicht nur umwerfend, sie sieht auch hinreissend aus in ihrem langärmligen royalblauen Kleid mit Schleppe
)
Am Bahnhof sind sie dann alle etwas abgewirtschafteter, auch die Daheimgebliebenen hatten es anscheinend nicht nur lustig.
Die Musik ist halt Wagner, entweder man mags oder nicht. Mich erinnerts immer an Filmmusik
Einziger kleiner Schwachpunkt ist, wie oft bei modern insznierten Opern, dass einige Textstellen nicht so ganz passen, wenn die Herren im Frack von Rittern und Schwertern reden stutzt man kurz. Meistens stört mich das gewaltig, aber hier wurde es - wie auch bei Comte Ory letzte Woche - vom Gesamteindruck wieder gutegemacht. Dass der Text manchmal - in meinen Augen - recht seltsames Deutsch ist geht auch wieder auf die Kappe von Herrn Wagner persönlich, der hat nämlich auch den Text selber verfasst.
Alles in allem eine gute Sache, durchdachte Inszenierung, schöne Ausstattung (über 300 Kostüme!) und hervorragende Sänger - die 4.5 Stunden merkt man gar nicht
... Jetzt wart ich eingentlich nur noch drauf, dass die Political-Correctness-Front auf Herrn Wagner aufmerksam wird, dann wird der Chor wohl bald seinen Herrn auch nicht mehr mit "Heil Landgraf..." begrüssen dürfen, und auch Wolfram von Eschenbach wird sich was anderes einfallen lassen müssen als "Ritter, edel, deutsch und weise", hui, Nazipropaganda
Niemand ist so wehrlos wie ein toter Autor oder Komponist gegenüber einem lebendigen Regisseur