D-Day von Anthony Beevor
Eigentlich hatte ich vor das Buch zu ignorieren, denn seit Cornelius Ryan haben sich schon so viele Publikationen an der Landung in der Normandie 1944 versucht, dass davon das Thema mittlerweile schlicht abgegriffen ist. Als ich allerdings neben dem Titel "D-Day" in fetten roten Lettern den Autor sah, musste ich die knapp 50 Franken dann doch ausgeben. Wenn Anthony Beevor über die Normandie schrieb, war mir das auch das Risiko wert, ein hundertmal durchgekautes Thema nochmals serviert zu bekommen.
Ich habe bereits Beevors Werke zu Stalingrad und zu Berlin 1945 gelesen und geschätzt. Er verbindet einen gut fassbaren Erzählstil mit zwischenmenschlichen Elementen die er ins grosse Geschehen streut. So verweilt man nie zu lange auf den Generalstabstischen, obwohl es dort auch interessant sein kann. Jedenfalls habe ich in seinem Buch über die Schlacht in der Normandie und die Phase bis zur Befreiung von Paris die mühsamen Facetten von Montgomery und das arg spezielle Wesen Pattons ebenso eindrücklich illustriert bekommen, wie De Gaulles Kanten. Und wenn wir schon hier sind habe ich auch einiges über die stark durchmischte 2éme Division Blindée gelernt.
Neben den bedeutsamen Geschehnissen sind wie gesagt immer wieder kleine Details eingearbeitet, die der Schilderung einen menschlichen Atem geben. Man lernt viel über die brutalen Schrecken des Krieges; vor allem dass es auf dem Schlachtfeld keinen Platz für so klare wie fiktive Elemente wie "Gut" und "Böse" gibt. Traditionell wurden Gefangeneerschiessungen seit 1945 zu einer Domäne der Deutschen verklärt, wobei die grausame Kriegsführung nach nationalsozialistischer Ideologie mit all ihrer Menschenverachtung dafür den idealen Nährboden bereitete. Beevor fasst das heisse Eisen beherzt an, und dies nicht nur verschämt mit den Fingerspitzen - Gefangene wurden auch bei den Alliierten erschossen.
Anschauulich wird dargelegt was hüben und drüben an abscheulichem Geschah, was einem im heimischen Lesesessel als Perversion abstösst und anrührt. Dabei müsste man es ja längst wissen, dass Soldaten im Gefecht, die im Mikrokosmos des Tötens und Sterbens gefangen sind, ungleich einfachere Regeln befolgen, auch wenn diese jeglicher Vorstellung von Menschenrechten spotten. Eine vom Feind umgebene Einheit wie Fallschirmjäger, oder eine vorstossende Truppe wie eine Panzerspitze, kann aus praktischen Gründen keine Männer zur Bewachung von Gefangenen entbehren. Zudem sind Gefangene eine Risikofaktor im eigenen Rücken. Was liegt der abgestumpften und brutalisierten Natur näher, als die entwaffneten am Strassenrand aufzureihen und mit einer Maschinengewehrsalve zu töten?
Zu glauben dass solches Vorgehen im Krieg nur auf einer Seite geschieht, etwa bei den Deutschen damals, ist naiv. Wo immer Menschen aufs Kämpfen abgerichtet und ans Töten gewohnt werden, passiert dies. Es ist die perverse Logik des Ungeheuers das frei wird wenn man den Menschen in den Krieg schickt. Beevor beschreibt den vielfachen und oft sinnlosen Tod manchmal mit trockenem britischen Stil. So wie der Fall eines betrunkenen Amerikaners der mit einer 45er bewaffnet einen deutschen Bunker erobert, und dann beginnt Verwundete zu erschiessen. Er gröhlt dass nur einen toter Deutscher ein guter Deutscher sei, und "fuhr fort weitere Verwundete zu guten Deutschen zu machen, bevor ihm jemand in den Arm fiel." Dann sind da Momente wie jener bei einer US-Sanitätseinheit.
Sie gerät im Dunkeln mit dem Jeep bei einer Verwundetenbergung in deutsches Feuer, wobei einer ihrer Sanitäter getötet wird. Kurz darauf kommt ein vor Angst stark schwitzender deutscher Sanitätssoldat mit einer weissen Fahne und einem Brief seines Vorgesetzten auf verschanzten Amerikaner zu. Er hatte sich freiwillig für diesen Auftrag gemeldet, und überbrachte ein Schreiben des deutschen Kommandanten, worin sich dieser für die versehentlichen Schüsse auf Sanitätspersonal entschuldigte und zusicherte dass sie die Verwundeten und ihre Toten gefahrlos bergen könnten. Man werde nicht mehr schiessen.
Im Gegensatz zu solchen Szenen steht das Wüten der SS-Panzerdivision "Das Reich" auf dem Weg durch den Limousin in die Normandie, wobei unter dem Deckmantel der Partisanenbekämpfung Zivilisten grausam und wahllos umgebracht wurden. Beevor erläutert wie solche Verbände aus Russland an die Westfront gekommen sind, wo sie mit genau jener widerlichen Art der Kriegsführung fortfuhren, die sie sich an der Ostfront angeeignet hatten. Oder die intime Feindschaft zwischen der SS-Panzerdivision Hitlerjugend und den Kanadiern. Zwei Seiten die sich nichts schenkten. Fanatismus stiess auf brennenden Rachedurst und vermengte sich zu grenzenlosem Hass in jedem Winkel des Schlachtfelds.
Und dann der vielfache Tod ohne jeden Feindkontakt. Ich war berührt von der Schilderung der tief fliegenden Dakota die am 6. Juni nachts dabei war als die ersten amerikanischen Fallschirmjäger absetzt wurden. Im allgemeinen Chaos flog die Maschine nur knapp hundert Meter hoch, was nicht einmal genügte um die Fallschirme zu öffnen. 18 Mann sprangen einer nach dem anderen ungebremst in den Tod den sie in der Finsternis nicht einmal ahnten. Man habe sie nacheinander auf dem Feld aufschlagen hören. Der Klang erinnerte an Melonen die von einem fahrenden Lastwagen fielen.
Ein Buch dass die Geschichte von dem Schmalz der Nostalgie befreit und versucht sich den Tatsachen anzunähern.
Anthony Beevor, D-Day, Verlag C. Bertelsmann, ISBN-10: 3-570-10007-3, je nach Buchhandlung zwischen Franken 40 und Franken 48