Stoff für Reisläufertracht

Ob Tunika, Topfhelm oder Brogans, hier wird es gezeigt und diskutiert.

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Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Michi am Di 17 Aug, 2010 20:11

Ich plane über die kommenden Herbst- und Wintermonate eine Reisläufertracht zu nähen. Sie sollte möglichst authentisch werden im Stil um ca. 1510. Nun gibt es ja genügend Vorbilder der bekannten Künstler wie Urs Graf, Niklaus Manuel Deutsch, Hans Holbein, etc.. Da es das Gewand eines einfachen Kriegsknechts werden soll, wird der Stoff aussen wohl Wolltuch und das Futter Leinen sein. Trotzdem bin ich noch am werweisen, welcher Stoff wohl am nächsten kommt. Ich habe kürzlich etwas über einen Fund von Hosen aus der Zeit gelesen, wo Lodenstoff wohl am ähnlichsten ist. Nicht zuletzt haben auch die Reisläufer ihre Gewänder "geschlitzt", was ja auch ein Argument der Stoffwahl ist, damit die Schlitze nicht ausfransen. Es würde mich freuen, wenn jemand noch etwas zu diesem Thema wüsste. Vielen Dank im Voraus!
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon cantarella am Di 17 Aug, 2010 20:30

Yep. Leicht gefilzter Wollstoff geht wunderbar (=leichter Mantelstoff).
Und: Die Schlitze müssen je nach Hosen-/Wams-Design noch extra unterfüttert werden. Vor allem bei den Wams-Ärmeln, wenn diese weit und geschlitzt sind, kommt man um drei Lagen nicht herum (schmal geschnittener Leinen-Innenärmel, Futterstoff, geschlitzter Oberstoff).

Schau mal hier, sowas in der Art meinst Du, richtig?
http://www.cantarella.ch/gallery/displa ... =84&pos=12
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Wolfgang Ritter am Mi 18 Aug, 2010 10:31

Hallo,
nur ein paar ergänzende HInweise: mit 1510 bist Du ja noch in einer Frühphase der Renaissance/Landsknechts/Reisläufer-Mode, da kannst Du grundsätzlich noch von Grundformen des 15. Jhdt. ausgehen, die dann eben etwas passend zum neuen Stil "gepimpt" werden, also noch eher dezente SChlitze in Hosen und Wams, noch nicht das durchaus provokative "slash-and-puff" der typisierten Landsknechte, bei denen quasi der Unterstoff bauschig herausquillt und vom Obermaterial nur noch Streifen da sind....
Zumal wenn Du einen einfachen Reisläufer darstellen willst, dann bist Du ja jemand, der aus einfach(st)en Verhältnissen in den Kriegsdienst verpflichtet/gezwungen wird. Ich würde daher eher kleine Akzente setzen, aber ansonsten erstmal eine durchschnittliche einfache Zivilkleidung erstellen....dann ein paar Schlitze hier und da - erstmal nur auf dem Oberschenkel oder dem Oberarm, eine Feder am ansonsten simplen Hut...damit fährst Du meines Erachtens überzeugender, als wenn Du gleich mit wildem mi-parti, Schlitzen und Pfauenfedern allerorten etc. losziehst.

Für die Stoffwahl ist definitiv WOlle als Oberstoff zu verwenden. Leinen als Futter ist okay, ich würde allerdings bei einer Schaube/Schecke/Umhang/Mantel, sprich,d em Übergewand kein Leinenfutter, sondern einen dünnen Wollstoff nehmen, denn Leinen saugt sich bei feuchter Witterung voll und bleibt dann eine Weile klamm. Aus eigener Erfahrung ist das sehr nervig und unangenehm und endet in Erkältungen. Wolle hingegen fühlt sich selbst bei Feuchtigkeit trocken an.

Ich würde bei dem Stoff unbedingt darauf achten, dass es sich um GEWEBTEN Stoff handelt und nicht um STRICKloden. Leider ist man da bei den Händlern oft genauso ahnungslos, wie bei der Nachfrage, ob da ein Kunststoffanteil enthalten ist. Da bekommt man mit dem treuherzigsten Augenaufschlag ein "Ja" versichert, obwohl die meist keine Ahnung haben und auf's gute Glück hinein was erzählen. Deshalb würde ich das Geld investieren und zu guten Stoffhändlern gehen, etwa Wollstoff.de von Jörg Fraske oder MIchael Kapmeier mit Naturtuche.de. Inwieweit es in der Shceweiz da Alternativen guibt, kann Dir sicher jemand hier beantworten.

Mindestens für die Hose hat sich die so genannte Köperbindung bewährt.
Denn 1510 wird die Hose ja immer noch ans Wams angenestelt, auch mit Schlitzen im Stoff brauchst Du da eine gewisse Dehnfähigkeit, da ist der Köper anscheinend besser als eine Leinwandbindung.
Wegen der Näherei gehe ich mal davon aus, dass Du schon entsprechende Vorlagen und Nähtipps hast.

Grüße und viel Erfolg
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon cantarella am Mi 18 Aug, 2010 10:56

@Wolfgang:
Danke für den Hinweis betr. Strickloden, hab ich vergessen zu erwähnen (wohl, weil's für mich logisch ist *g*)

@Michi:
Der Herr auf meinem verlinkten Bild trägt enge Hosen nach spätem 15.-Jh-Schnitt, wie sie Wolfgang erwähnt hat. Denen hat er am einen Bein einen Schlitz hinzugefügt sowie eine auffällige Schamkapsel. Ich such mal noch ein Bild, wo man ihn ganz sieht.
Hier noch ein gutes Buch zu der Epoche: http://www.ospreypublishing.com/store/L ... 841762432/
Ist zwar eher auf den Landsknecht ausgerichtet, gibt aber ne gute Übersicht.
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Seegras am Mi 18 Aug, 2010 18:34

Sowas?
http://www.flinks-journey.com/s/gal/mai ... temId=5467
http://www.flinks-journey.com/s/gal/mai ... temId=5461

Wolle, Zwischenfutter eher aus leichter Wolle denn aus Leinen, innerstes Futter eng und aus Leinen. Die Hosen müssen soweit sie geschlitzt sind ebenfalls unterfüttert sein. Was erklärt warum man (bis diese Puffhosen kommen) keine Schlitze an den Unterschenkeln hat (weil nämlich nicht gefüttert da sonst nicht mehr enganliegend).
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Michi am Mi 18 Aug, 2010 18:46

Danke Euch vielmals für die Tips! Warscheinlich werde ich probieren ein "Zwischending" zu machen. Wenn man Bilder von z.B. Urs Graf ansieht, hatten Reisläufer bereits um ca. 1510 geschlitzte Gewänder. Es wird jedoch auf keinen Fall im "üppigen" Landsknechtstil werden, sondern ausgehend von SpäMi-Hosen (mit Füsslingen und nur sehr dezent geschlitzt) und Wams mit "Bauschärmeln" (aber einfach gehalten). Was die Farben betrifft bin ich noch am werweisen, aber sobald ich mich entschieden habe, mach ich mich auf Stoffsuche. Vorlagen habe ich ein paar, aber selbstverständlich bin ich über jeden Tip froh, auch was das Nähen betrifft :smt001
Übrigens: weiss jemand mehr betreffend annesteln von Ärmeln? War das zu Beginn der Renaissance tatsächlich üblich? Es gibt Bilder, die das bestätigen - allerdings habe ich noch nie konkret etwas darüber gelesen...
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Michi am Mi 18 Aug, 2010 18:57

Seegras hat geschrieben:Sowas?
http://www.flinks-journey.com/s/gal/mai ... temId=5467
http://www.flinks-journey.com/s/gal/mai ... temId=5461

Wolle, Zwischenfutter eher aus leichter Wolle denn aus Leinen, innerstes Futter eng und aus Leinen. Die Hosen müssen soweit sie geschlitzt sind ebenfalls unterfüttert sein. Was erklärt warum man (bis diese Puffhosen kommen) keine Schlitze an den Unterschenkeln hat (weil nämlich nicht gefüttert da sonst nicht mehr enganliegend).


Ja, sowas - allerdings nicht ganz so fest geschlitzt. Übrigens: super Foto - gefällt mir, Kompliment!
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon jboerner am Do 19 Aug, 2010 13:52

Für 1510 würde ich mir mal ein paar andere Gemälde reinziehen, im Katalogband der Gemälde zum Spätmittelalter am Oberrhein sind ettliche von 1500-1530 drinnen. Tendentiell wird vieles zu arg geschlitzt, und zu modern gemacht; 1510 wirst Du, wie Wolfgang auch richtig schrieb, noch arg 15tes-lastig sein ob der Schnitte, aber schon hoher Hosenbund etc.
Ob des Hosenschnittes täte ich die Apirsbacher Hose betrachten, wobei die Leinen(-köper!) und ne Arbeitshose ohne Löcher ist. Für die Hose empfehle ich Kreuzköper, fürs Wams reicht Leinwandbindung verfilzt, wenn es einfach sein soll ungeschoren, ansonsten geschorener Streichköper.
Auf angestelte Ärmel täte ich verzichten, für die hat es generell pre-1500 wenig bis keine Belegeim deutschen Raum, im italienischen schon eher, aber tendentiell bei Frauen, was ja post-1500 dann auch hier ausbricht; allerdings wird das oft überstrapaziert, und es ist pure Verzierung, man macht die i.d.R. nicht ab. Also nix mit "zum T-Shirt umbauen können".
Um 1505 würde ich auch nen Rock tragen, viele orientieren sich ja schnell an späteren Sachen, sowie an Passionsszenen, wo die Henkersknechte eher unrealistischerweise oft nachlässig gekleidet sind.
Spätestens im alltäglichen Umfeld trug man noch Rock.
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Hagelhans am Do 19 Aug, 2010 14:16

Grundsätzlich kanst Du ja den luzerner Schilling als Primärquelle benutzen. Du must nur ein wenig aufpassen, da er in einigen Bildern ein wenig historisiert. Dies ist vorallem bei den Hellebarden aufällig.

http://de.wikipedia.org/wiki/Diebold_Sc ... C3%BCngere
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Re: Stoff für Reisläufertracht

Beitragvon Wolfgang Ritter am Do 19 Aug, 2010 15:32

Michi hat geschrieben:Danke Euch vielmals für die Tips! Warscheinlich werde ich probieren ein "Zwischending" zu machen. Wenn man Bilder von z.B. Urs Graf ansieht, hatten Reisläufer bereits um ca. 1510 geschlitzte Gewänder. Es wird jedoch auf keinen Fall im "üppigen" Landsknechtstil werden, sondern ausgehend von SpäMi-Hosen (mit Füsslingen und nur sehr dezent geschlitzt) und Wams mit "Bauschärmeln" (aber einfach gehalten). Was die Farben betrifft bin ich noch am werweisen, aber sobald ich mich entschieden habe, mach ich mich auf Stoffsuche. Vorlagen habe ich ein paar, aber selbstverständlich bin ich über jeden Tip froh, auch was das Nähen betrifft :smt001
Übrigens: weiss jemand mehr betreffend annesteln von Ärmeln? War das zu Beginn der Renaissance tatsächlich üblich? Es gibt Bilder, die das bestätigen - allerdings habe ich noch nie konkret etwas darüber gelesen...

Hallo Michi,
wie Jens schon schrieb, wäre ich skepotisch bei angenestelten Ärmeln - da finde ich die Beleglage (ob Bild oder textliche Erwähnung) seeehr mau. Ehrlich gesagt sieht es bei den meisten auch eher aus, als sollten damit nähtechnische Unzulänglichkeiten kaschiert werden.......eines der Hauptprobleme beim Wams bzw. der Kombination Wams und Hose ist, dass die Ärmel falsch konstruiert sind; meist wie bei einem modernen Jacket. Bei einem Wams MUSS die Ärmelnaht aber auf dem Übergang Schultergelenk/Arm und NICHT wie bei einer modernen Jacke irgendwo auf dem Oberarm sitzen. Denn bei letzterer hängt keine Hose dran.....wenn DU bei einem flsch konstruierten Ärmel den Arm hebst, ziehst Du dann immer gleich die ganze Hose mit hoch etc. Das nervt ungeheuer, dauert halt eine Weile, bis die Konstruktion sitzt - bei nochmaligem Durchlesen zweifle ich auch daran, dass ich das Ganze sinnvoll erklärt habe.....wirst's halt merken...sorry ;-).

Bei der Hose muss der Stoff diagonal zugeschnitten werden, um die maximale Dehfähigkeit herauszuholen, außerdem sollte die Hose entsprechend gut ausgemessen sein, grob gesprochen sollte der Hosenboden so ein bisschen bis in die Spalte hineingehen, damit Du für größere Bewegungen (Ausfallschritte, beugen und bücken, Spagat-ähnlcihes etc.) genügend Flexibilität besitzt.
Der Hosenbund ist 1510 schon auf Hüfthöhe, während der SChamlatz nicht mehr notwendigerweise bis zum Hosenb und reicht. Wie Seegras schon geschreiben hat, sollte nur der Oberschenkelbereich gefüttert sein, andernfalls fehlt Dir die Dehnfähigkeit; dieses geschlitzte Pluderschlabbergedöns ab den 1530ern ist meistens dann auch vom SItz her anders konstruiert, als die ordentlichen und zivilisierten Hosen eines wohlanständigen Herrn des späten 15. und der Jahrhundertwende......
Ich hoffe doch sehr, dass Du eine(n) Freund(in) zur Hand hast, die Dich ausmessen?
Wenn Du das alleine anstellen willst, wirst Du scheitern.
Ich weiß, dass einige Leute das Buch sehr kritisieren (durchaus mit guten Gründen), aber für den Anfang und um Kenntnisse zu bekommen, WIE überhaupot ich eine Schnittvorlage erstelle b zw. mich ausmesse, finde ich Sarah Thursfields Medieval Tailor Assistent äußerst hilfreich.
Der Luzerner Schilling ist natürlich gerade wegen der generellen Mode und der Farbgebung ein gutes Beispiel, Urs Graf finde ich da z.B. schon wieder etwas zu plakativ.
EIne excellente Datenbank zur Recherche bietet IMAReal Datenbank: http://www.imareal.oeaw.ac.at/realonline/ Damit solltest Du genügend Vorlagen recherchieren können.
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