Helm mit Spitze (Pickelhaube) M1895 Königs Infanterie Regiment 145
Mir ist eine Pickelhaube zur Idendifizierung und Pflege in die Hand gekommen. Die Arbeit war interessant und ergab einige Erkenntnisse die ich hier teilen möchte.
Korrekterweise heisst diese Kopfbedeckung "Helm mit Spitze" und wurde nur im Volksmund als "Pickelhaube" bezeichnet. Beim vorliegenden Exemplar handelt es sich um das Modell 1895, welches die letzte Ausführung mit prächtig glänzender Garnitur und fest montierter Spitze darstellt. Der während des Krieges eingeführte Nachfolger M1915 hatte nur noch eine graue Garnitur und seine auf dem Schlachtfeld unpraktische Spitze war demontierbar.
Der verdächtige Adler
Das vorliegende Modell gab auf den ersten Blick Rätsel auf, denn der Adler auf der Garnitur sah mir verdächtig nach Bastelei aus. Im Nackenschirm war die Abkürzung KJR 145, womit ich wenig anfangen konnte. Dass "JR" für "Jnfanterie Regiment" steht war mir klar, aber was das "K" soll blieb vorerst schleierhaft. Für "Garde" konnte es nicht stehen, wenn der zuständige Stempel nicht einen bösen orthographischen Mangel aufwies. Dem widersprach aber der Adler, den ich zunächst für einen Gardeadler hielt.
Eigentlich sollte bei einem Infanterieregiment ein Linienadler (Spitzname "Kuckuck") mit nach oben gebogenen Schwingen prangen. Die horizontal ausgebreiteten Schwingen entsprachen indes dem Gardeadler. Bei Studium der Literatur über die deutschen Uniformen im Ersten Weltkrieg stiess ich dann auf die Finesse, dass es sich gar nicht um einen Gardeadler sondern um einen Grenadieradler handelte, der sich etwa bei Szepter und Schwert vom Gardeadler unterschied.
Aha dachte ich mir - ein Grenadieradler auf einer hundskommunen Infanteriepickelhaube. Ganz klar ein Fall übelster Bastelei. Das Machwerk eines Helm-Kujaus, irgendwo in einem elsässischen Hobbykeller vollbracht um auf der Börse in Strassburg einen gutgläubigen Käufer beim über den Tisch ziehen auch gleich über die Ohren zu hauen und ihn seines Geldes zu erleichtern. Aber was sollte KJR 145. Da waren vertiefte Nachforschungen nötig, die erstaunliche Ergebnisse zeitigten.
Der restaurierte Helm M1895. Im Hintergrund die Schulterklappen mit Initialen gemäss der Verleihung von 1893 (1 = Klappe für Rock, 2 = Klappe für Mantel)
Ein Regiment aus Lothringen
Am Ende der Recherche stand die Erkenntnis, dass die Abkürzung für "Königs Infanterie Regiment (6. Lothringisches) 145" stand, einer 1890 aufgestellten Truppe mit Garnison Metz. Ein Infanterieregiment aus den Reichslanden Elsass und Lothringen also. Beide waren nach dem Krieg 1870/71 an das neu entstandene Deutsche Reich gefallen, und man kann nicht mit aller Aufrichtigkeit sagen, dass sie Hätschelkinder des Kaisers waren (schon eher Keller- oder Stiefkinder, ohne die diverse Rechte die Länder des Reiches hatten).
Das Regiment bekam im September 1893 das Privileg verliehen, auf seinen Achselklappen die Initialen von Kaiser Wilhelm II (RW II = Rex Wilhelmus II) rot eingestickt zu tragen. Zugleich durfte nunmehr die Bezeichnung "Königs Infanterie Regiment 145" genutzt werden, denn der Kaiser war angetan von "der guten Haltung des Regimentes". Am 18. Oktober 1895 erhielt das KIR 145 das Privileg den schwarzen Haarbusch der Gardegrenadiere auf dem Helm zu tragen. Damit wird auch der Beiname "Metzer Garde" des Regiments verständlich.
Das Rätsel des Adlers löst sich
Das erklärte immer noch nicht die merkwürdige Kombination von Adler und Helm. Immerhin habe ich bei der Zerlegung zwecks Pflege herausgefunden, dass der geprägte Adler auf der Oberfläche des Lederhelms angealterte Umrisspuren hinterlassen hatte, die darauf hindeuteten dass er schon länger dort sass und nicht erst vor ein paar Jahren draufklastert wurde. Zugleich waren keine Spuren eines geprägten Linienadlers zu finden.
Das Mysterium klärte als ich über die Information stolperte, dass das Regiment von Kaiser Wilhelm II. anlässlich seines 25jährigen Thronjubiläums am 16. Juni 1913 das Privileg verliehen bekam den "fliegenden Adler" anstelle des Linienadlers zu tragen. Bei den Offizieren war dies oft der Gardeadler ohne Stern, während bei den Mannschaften der Grenadieradler getragen wurde, den auch die Grenadier-Regimenter 1 bis 12 in ihrer Garnitur führten.
Das Regiment im Ersten Weltkrieg
Helm mit Truppenstempel und Adler passten also doch zueinander und waren kein sinnfreies Gebastel. Zwischen 1913 und 1916 wurden bei diesem Regiment die Helme mit dieser Garnitur getragen. Mit ihm zog das Lothringische Regiment in den Ersten Weltkrieg. Es kämpfte 1914 unter anderem in der Schlacht von Longwy, bei den Maasübergängen und in den Argonnen. In diesem Raum blieb es auch 1915 und ab August 1916 stand das Königs-Infanterie-Regiment 145 in der Schlacht um Verdun.
Es kämpfte bei Verdun um den Douaumont, um Thiaumont, um Fleury und beim berüchtigten M-Raum. Im November lag das Regiment aus Metz im Stellungskrieg in den Vogesen. Es folgten verlustreiche Einsätze 1917 in den Argonnen und in der Champagne, gefolgt von Kämpfen gegen die Briten in Flandern. Im November stand das Regiment in der Panzerschlacht von Cambrai. 1918 brachte im März Kampfeinsätze in der Durchbruchsschlacht von St.Quentin-La-Fère und April/Mai Kämpfe zwischen Oise und Aisne.
Ab Juli war das Königs-Infanterie-Regiment 145 in jene Abwehrschlachten verwickelt, die den Untergang der kaiserlichen Armee einläuteten. Im September lag das Regiment in der Siegfried-Stellung um dann im Oktober 1918 in der Abwehrschlacht zwischen Cambrai und St. Quentin fast vollständig vernichtet zu werden. 3525 Mann des Regiment fielen während seines Einsatzes an der Westfront. Das Blut war besonders tragisch vergossen worden. Elsass und Lothringen, die Heimat der für den Kaiser Gefallenen, kam nach dem Krieg zurück zu Frankreich.
Seit 1930 erinnert ein Ehrenmal auf dem Tönsberg im Teutoburger Wald an die 1914-18 Gefallenen des Regiments. Die prächtige Pickelhaube wurde 1916 gegen den charmefreien Stahlhelm ausgetauscht.
Die Restauration des Helmes
Das gute Stück war lange Zeit unbehandelt geblieben. Aus früheren Zeiten war die Lederglocke bereits aus der Form geraten. Zusätzlich war das trockene Leder geschrumpft, wodurch die eine Naht am Nackenschirm aufgerissen war und der Adler der Garnitur dort wo sich das Leder zurückgezogen hatte vorstand. So weit wie möglich wurden nun alle Metallteile demontiert. Dann wurde das Leder mit Pflegefett behandelt damit es wieder einigermassen elastisch wurde und nicht mehr so brüchig war.
Unter der abgenommenen Spitze waren Kratz- und Stosspuren zu sehen, was im ersten Moment erstaunt. Wie kommen um Himmels Willen Abnutzungen an eine Stelle die nie freilag da die Spitze und ihre Sockelplatte darüber montiert waren. Logisch erklären lässt sich dies mit dem Umstand, dass Ende 1914 die unpraktischen und im Grabenkrieg auffälligen Spitzen der Helme im Fronteinsatz demontiert wurden. Offenbar war das auch bei diesem Helm geschehen. Später wurde die Spitze wenig einfühlsam wieder draufgemurkst.
Wenn man die einzelnen Teile der Spitze mit ihrer Platte nicht sorgfältig auf die Löcher in der Lederglocke des Helms anpasst, muss man richtiggehend die Federn der vier Befestigungsnieten verbiegen um die Teile zusammenzuquetschen. Das war dann auch geschehen. Jemand hatte entweder keine Geduld bei der Montage der Spitze, oder keine Zeit. Ich bog die vergewaltigten Federn mit einem Flachzängchen behutsam wieder gerade, so dass sie ordentlich in der Platte eingepasst werden konnten.
Irgendwann 1914 musste der Träger mit seiner Spitze auf dem Helm gegen einen Balken im Unterstand gelaufen sein, oder der Helm war mal ganz übel gelagert. Jedenfalls war ist die Spitze leicht nach hinten gebogen. Da dies vermutlich ein historischer Schaden war, habe ich ihn belassen und nicht versucht wieder geradezubiegen. Allerdings habe ich die aufgerissene Naht am Nackenschirm neu genäht. Dieser Schaden entstand in jüngerer Zeit und musste repariert werden, wenn er sich nicht weiter ausdehnen sollte.
Die historischen Nahtlöcher wurden von den Fadenresten der gerissenen Naht befreit. Durch die offenen Löcher wurde dann mit neuen Sattlergarn die neue Naht gezogen. Danach dunkelte etwas Lederfett den arg hellen Faden ab, damit die Naht nicht obszön shiny hervorstach. Die demontierten Teile der Garnitur wurden zur Reinigung ins Ultraschallbad gelegt. Das holt auch Rückstände in verzwickten Ecken raus. Danach wurde mit Politur behandelt was noch festsass.
Von den ehedem zwei Lederstreifen die innen den Adler an der Helmfront fixierten, fehlte mittlerweile einer und der übrige sah verschrumpelt aus wie Pharao Ramses nach 2000 Jahren im Königsgrab. Immerhin bot der brüchige Schrumpelstreifen ein Schnittmuster für ein Paar neue Streifen. Dazu musste eine ohnehin kaputte Schweizer Patronentasche Ordonnanz 1898 dran glauben. Datiert 1907, war das Leder für die neu gemachten Streifen sogar in passendem Alter für eine authentische Kopie. Vom Original nicht zu unterscheiden, nicht mal im Labor.
Der Lederhelm hatte sich beim Fetten wieder ganz minim geweitet. Aber zur alten Form fand er nicht wieder zurück. Aber das musste er auch nicht, denn ich wollte nur Konservieren und keine tragfertige Kopfbedeckung liefern. Dem hässlichen Effekt des abstehenden Adlers wurde durch behutsames Nachbiegen der Adlerschwingen begegnet. Nach sanftem Biegen sass der Adler wieder, wie in den Zeiten als das Helmleder noch nicht mumiös geschrumpft war. Das gefettete Leder sah nach dem Bürsten wieder prächtig aus.
Ein Problem bot noch der metallene Schirmrand. Er war offenbar im Laufe der Jahrzehnte bei einer ungünstigen Lagerung, oder im Krieg im Feld, geknickt worden und zwang das Leder des Frontschirms in eine Form welche die Verbindungsnaht zur Helmglocke belastete. Wieder kam das Flachzänglein zum Einsatz. Ich legte ein "Futter" aus einem dicken Kartonstreifen in die Zange, um nicht direkt auf das Metall des Schirmrands zu drücken und dort Kratzer oder Druckschäden zu hinterlassen. Das funktionierte ganz gut.
Nun konnten die Teile wieder montiert werden. Als er in all seiner Pracht dann fertig vor mir auf dem Tisch stand, bemerkte ich dass ich die Kokarden falschrum montiert hatte. 1897 kam auf den Pickelhauben zur Kokarde in Landesfarben eine in den Farben der Reiches hinzu. Ich hatte die auf den verkehrten Seiten platziert. Also nochmals Kinnrienem runter und gewechselt. Nun kann ich die Pickelhaube wieder zurück in die Sammlung geben wo sie herkam.