@jboerner:
Ich muss das noch loswerden:
Hier kommen halt ganz klar die regionalen Unterschiede ins Spiel. Ich kenne mich in der deutschen Geschichte nicht gut aus, deswegen werde ich dazu nichts schreiben. Wenn man aber nur schon mal die demographischen Unterschiede anschaut wird einem klar, dass wir nicht unbedingt verschiedene Vorstellungen einer Zeit haben, aber von zwei verschiedenen Dingen sprechen. Ich gehe nicht vom Reichsaufgebot aus, sondern von schweizer Söldnern im frühen 16. Jht.
Nürnberg war meines Wissens um 1500 eine der grössten Städte des hlg röm. Reiches – Bern z.B., unsere Bundeshauptstadt, hatte damals ca. 6000 Einwohner. Also das Bürgertum und die Zünfte der Städte in der Schweiz waren damals vergleichsweise klein. Wenn man aber einmal anschaut wie viele Soldaten die Eidgenossenschaft mobilisieren konnte wird einem sonnenklar, dass der weitaus überwiegende Teil aus der Landschaft kam. Vor allem im vor- und inneralpinen Raum herrschten wirtschaftlich sehr karge Bedingungen. Dadurch ist auch die zahlenmässig hohe Verfügbarkeit an Soldaten verständlich. Es ist im übrigen auch mehrfach nachzulesen (z.B. städt. Mannschaftsrödel), dass sogenannte städtische Banner/Auszüge, sich zum grössten Teil aus Mannschaften aus der Landschaft zusammensetzten. So z.B. in den Burgunderkriegen, im alten Zürichkrieg, Schwabenkrieg, u.s.w.. Die höheren Ränge jedoch, wurden dann hauptsächlich durch Städter bekleidet.
Ein zusätzlicher Faktor ist, dass Soldaten (die alte Eidgenossenschaft kannte auch eine Wehrpflicht) sich vertreten lassen konnten. Vor allem den wohlhabenden Stadtbürgern waren diese Stellvertretungen vielfach höchst willkommen. Auf einem Kriegsrodel aus der Burgunderzeit wird z.B. erwähnt, dass von 157 Kriegern die die Stadt Luzern zum Auszug beisteuerte, noch ganze 33 aus Luzern stammten (Stadtarchiv Luzern). Diese Vertretungen wurden gemeinhin Söldner genannt. Als später aufgrund der politisch brisanten Lage immer mehr Pensionengelder in die Kantonskassen flossen, begann die Privatwirtschaft zu greifen und immer mehr „Unternehmer“ vermittelten Söldner an die bestzahlenden.
Also im Unterschied zu deutschen Söldnern, die mehrheitlich im Auftrag des Kaisers ausgehoben wurden, entstand in der Eidgenossenschaft gegen den Willen der „Obrigkeit“ (Tagsatzung) ein privates Militärunternehmertum, das dann aber manchmal trotzdem irgendwie im Interesse der Kantone war, solange die Kassen klingelten…
Zu den Soldaten:
Meines Erachtens schliesst Grobschlächtigkeit nicht aus, dass ein Soldat modebewusst, selbstbewusst, etc. ist – ganz im Gegenteil, es wird ja mehrfach durch Chronisten berichtet, dass viele Söldner eitel waren, es genossen ihre „Pracht“ zur Schau zu stellen, etc.. Sozial gut verankert ist gerade bei alpiner Landbevölkerung sehr schwer zu interpretieren, weil das „soziale Netzwerk“ z.B. eines Bergbauern, diametral anders aussieht als dasjenige eines Stadtbürgers. Gebildet und gut ausgerüstet mag aus Deiner Perspektive durchaus stimmen, aber was die Geschichte von schweizer Söldnern betrifft, so muss man anhand einiger zeitgenössischer Berichte und Briefe mehrheitlich eher vom Gegenteil ausgehen. Wie gesagt, ich spreche hier immer von der Mannschaft, vom einfachen Fusssoldaten und nicht von höheren Rängen.
Ein prominentes Beispiel: Urs Graf, als Goldschmied, Glasmaler, Graveur, etc. sicher ein gebildeter Mann, aus einer Künstler-/Handwerkerfamilie stammend. Als Mann und Künstler höchstwahrscheinlich ein Ästhet, aber gleichzeitig mehrfach erwähnt in den Büchern der Basler Justiz. Zechprellerei, Körperverletzung, unsittliches Verhalten, Ehebruch, um nur einige Punkte zu nennen. Ich denke, diese Aussagen sind ungeachtet von unserem modernen Mass durchaus als grobschlächtig einzustufen.
Ein nächster Fall eines luzerner Söldners vor dem Richter: „…das er und Melcher syn gsell nachts uff der gassen, ouch im frowenhuss vill unrats anrichtent, nit werchent, aber prassent, spilent, man nit weist, woher sy mit dem gelt koment“. (1566, Staatsarchiv Luzern)
oder – es gab eben so manchen, der zuo sinem gevallen und nitt unnsern Eren und namen Krieg führte, gar viele, die mer uff das Roebig guet dann uff unser aller Er acht haben. (Staatsarchiv Luzern)
oder folgende Stelle aus einem Soldatenbrief: und louffent vil verlorner lúten zuo, die brennent und triben allen unfuog, und will es dann nieman getan oder schuld daran haben. (Staatsarchiv Zürich)
oder aus einem Brief aus dem Hegau (Schwabenkrieg) ist zu lesen: wir zogen miteinander in Richtung Steisslingen. Unser Blutharst, zum Teil elendes Volk, lief voraus, kam gegen Singen, welches unter Twiel liegt, und wollte das Dorf verbrennen und plündern. (Staatsarchiv Luzern)
oder zum Kriegsgeschehen im Winter 1474/75: In gleicher Weise haben sich die Unseren und andere Verbündete, vor allem die laufenden Knechte, welche den Krieg täglich betreiben, hier und dort mehr als 6, 8 und noch mehr Meilen weit nach Burgund hineingewagt, zahllose Dörfer verbrannt, viele Burgunder gefangen genommen und umgebracht, auch unzählbares Vieh, Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen, dazu andere Habe in Gestalt von Hausrat erobert …damit die zyt des winters vertribende. (Basler Chroniken)
oder für starke Nerven: …nach verschiedenen Zeugenberichten die Sieger von St.Jakob an der Sihl den toten Körper des Zürcher Bürgermeisters schamlos misshandelten. Neben anderen Perversitäten hätten sie auch mit Stüssis Feissi und Smer ihre Schuhe, Stiefel und die Leder an den Sporen gesalbt. (Zeugenaussagen, Staatsarchiv Luzern)
oder Vernehmlassung der Tagsatzung: jedes Ort soll die Seinen schwören lassen, wenn wir hiefür ein Gefecht und Streit thun, keine Gefangenen zu machen, sondern Alles todt zu schlagen, als unser fromen Altvordern allweg brucht haben. – sowie aus einem Bernerbrief nach der Schlacht bei Héricourt: wir wölten gern den eren nach, das jederman erstochen und nieman gevangen were; das wurd allweg den schrecken in unsern vinden meren und unser guet lob behalten. (Freiburger Missiven)
So gäbe es noch viele weitere Beispiele zu nennen, die nicht von mir erfunden, sondern so nachzulesen sind. Ähnliche Beschreibungen findet man in der Geschichte der deutschen Landsknechte, im Krieg oder auf der Gart.
Vielleicht bin ich etwas naiv oder vielleicht schaue ich das Ganze etwas zu wenig differenziert an – aber wenn man pauschal den Ausdruck grobschlächtig benützt, dann ist das meiner Meinung nach nicht zu stereotyp – auch wenn es Söldner gab, die durchaus auf Deine Beschreibung passen.
Ich halte die Bewertung nach unserem modernen Mass auch für einen grossen Fehler – trotzdem gibt es tausendfach bewiesenermassen Verhaltensmuster in „Männergesellschaften“ – speziell in Extremsituationen – die sich über Jahrtausende nicht gross verändert haben. Hand aufs Herz, jeder der Militärdienst geleistet hat kann irgend eine Anekdote erzählen, die z.B. durch Gruppendynamik letztendlich für irgend einen im Arrest geendet hat. Noch heute gibt es ungeheures Leid in Familien, weil Kriegsveteranen, oftmals noch junge Männer, nicht mehr oder nur noch schwer sozialisierbar sind. Ich glaube wir dürfen nicht vergessen, wir schreiben hier über Berufssoldaten, über das Kriegshandwerk, ein nicht wirklich schöner Job.
Ich schliesse mit einem Zitat von Valentin Groebner (schweizer Historiker / Renaissance, fremde Dienste): „An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit begannen die Innerschweizer Obrigkeiten, ihre sozial und wirtschaftlich schwächsten Untertanen buchstäblich zu Geld zu machen – mit sanftem oder auch weniger sanftem Zwang“.
Willtu glück und wolfeile han, so must von diner bosheit lan.
Bit gott das Er dir das ferzych, so wirstu glück han Ewiglich.
Min lieber junger, das pitten Ich dich.